: Mit dem Atomausstieg gegen das Wattenmeer
■ Landesregierung will jetzt mit Anti-Atom-Argumenten für die Erdgasröhre durchs Naturschutzgebiet werben
Einen klassischen Zielkonflikt“ hat bei der ganzen Angelegenheit der Sprecher des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums ausgemacht: In dem seit Dezember laufenden Raumordnungsverfahren stünde der Schutz des Wattenmeeres gegen das Interesse, niedersächsischen Atomstrom und vor allem Strom aus ostdeutschen Braunkohlekraftwerken durch Energie aus Erdgas zu ersetzen. Entschieden wird über den Bau einer Erdgaspipeline vom norwegischen Ekofisk- Fördergebiet an die niedersächsische Küste, über jene „Europipe“, die die staatliche norwegische Ölgesellschaft „Statoil“ quer durch den Nationalpark Wattenmeer bauen möchte.
Daß dabei widerstreitende Umweltinteressen gegeneinander stehen, möchten am Montag gleich drei niedersächische Ressortchefs nicht nur der Öffentlichkeit, sondern wohl auch den Umweltverbänden nahebringen, die den Pipelinebau weiterhin ablehnen. Der Innen-, der Wirtschaftsminister und auch noch der grüne Umweltstaatssekretär, der gegenwärtig die glückliche junge Mutter Monika Griefahn vetritt, wollen von ihren Bemühungen „um eine umweltfreundliche Trassenführung“ berichten und gleichzeitig das „landespolitische Interesse an einem vermehrten Einsatz von Erdgas verdeutlichen“.
Die Statoil hat in dem Raumordnungsverfahren eine Pipelinetrasse beantragt, die über die Insel Norderney hinweg von Nord nach Süd das Wattenmeer durchquert. Schon die Probebohrungen für diese Trasse im naturgeschützten Watt führten zu geharnischten Protesten von Umweltschützern und zu direkten Aktionen von Greenpeace. Inzwischen werden in dem Verfahren dreizehn verschiedene Trassenführungen von Ems- bis Jademündung daraufhin untersucht, inweit sie die Natur belasten, ob auf ihnen die Rohre strömungssicher verlegbar sind und ob sie durch Seeregionen führen, in denen noch Munition aus dem 2. Weltkrieg liegt.
Der zuständige Experte des BUND Niedersachsen, Bernd Bölscher, kann sich mit seiner Ablehnung des Pipeline-Baus sogar auf internationale Übereinkommen berufen. „Die im vergangenen November in Esbjerg abgeschlossene Vereinbarung zum länderübergreifenden Schutz des Wattenmeeres“, so sagt er, „beinhaltet auch den Verzicht auf neue Pipelines durch das Watt.“
Bundesumweltminister Klaus Töpfer hat diese Vereinbarung unterzeichnet. Es ist jetzt allerdings zu befürchten, daß sich die rot-grüne Landesregeirung in Hannover bei der Entscheidung über die Europipe nicht an sie halten wird. Zwar will Innenminister Gerhard Glogowski, in dessen Zuständigkeit das Raumordnungsverfahren fällt, am Montag nur darstellen, welche der dreizehn möglichen Trassen noch in der Diskussion sind. Es gäbe da nur noch wenige Alternativen, sagte sein Sprecher gestern. Allerdings seien Trassen, die den Nationalpark überhaupt nicht berührten, offenbar „finanziell nicht machbar“.
Im Umweltministerium hieß es, alle im anvisierten Zeitraum realisierbaren Trassen führten zumindest ein Stück durch das geschützete Watt. „Wir favorisieren eine Trasse am westlichen Rand des Jadefahrwassers“, sagte die Sprecherin. Diese über die kleine Insel Minsener Oog führende Trassen schnitte nur auf einer Strecke von sechs Kilometer den Nationalpark und solle bei Schillig nördlich von Wilhelmshaven enden.
Aus dem Regierungslager will demnach nur noch die grüne Fraktionsvorsitzende Thea Dückert die Pipeline gänzlich um das geschützte Wattenmeer herumführen. „Wir wollen die längere Jade-West-Trasse“, gab sie zur Auskunft, „Argumente, daß dafür nicht genügend Baggerkapazitäten zur Verfügung stehen und daß diese Trasse nicht finanzierbar ist, lassen wir nicht gelten.“
Die Notwendigkeit des Pipelinebaus nach Niedersachsen hat für das Verfahren der Wirtschaftsminister nachzuweisen. 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollten jährlich durch Europipe in die BRD geliefert werden, erklärte sein Ministeriumssprecher. Dadurch könne die Hälfte des für das Jahr 2000 errechneten Mehrbedarfs gedeckt werden. Nicht nur für Ostdeutschland eröffne der Pipelinebau die Möglichkeit, den Strom aus Braunkohle durch eine dezentrale Energieversorgung aus Blockheizkraftwerken zu substituieren. Für Niedersachsen sei die Europipe sogar ein wichter Bestandteil des Konzepts für den Ausstieg aus der Atomenergie. Dabei ginge es ebenfalls um Blockheizkraftwerke und vor allem auch um das in Stade geplante 700 Megawatt Gaskraftwerk, das das dortige AKW überflüssig machen solle und für das die Preußen Elektra eine Milliarde Kubikmeter Gas jährlich bei der Statoil kaufen will.
Den BUND werden allerdings diese Erdgas-ist-umweltfreundlich-Argumente kaum überzeugen. Die neuen Bundesländer könnten ihren Mehrbedarf an Erdgas auch über das osteuropäische Verbundnetz aus der ehemaligen Sowjetunion decken, sagt Bernd Bölscher. Wenn jede mögliche Pipelinetrasse das Wattenmeer berühre, müsse man eben gänzlich auf eine Anlandung des Erdgases in Niedersachsen verzichten. „Im übrigen kann man auch entlang der schon bestehenden Trasse vom Ekofisk-Feld zum belgischen Zeebrügge ein zweites Rohr verlegen und anschließend das Gas ohne Ausbau des Netzes auf dem Festland nach Niedersachsen pumpen“, sagt der Umweltschützer.
Von der Trasse über die kleine Insel Minsener Oog hält er überhaupt nichts. Die Insel sei das wichtigste Brutgebiet für die Seeschwalben im Watt, die dort akut vom Aussterben bedroht seien. Den Zusammenhang zwischen Atomausstieg und Pipelinebau im Nationalpark kann Bölscher überhaupt nicht nachvollziehen. Da müsse erstmal ein Gesamtnutzungskonzept für Gas auf den Tisch. Schließlich betont bekanntlich auch die Preußen Elektra bisher immer noch, daß sie beides will, das neue Gaskraftwerk und den Betrieb des AKW's Stade über das Jahr 2000 hinaus. Jürgen Voges
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