Physik im kritischen Bereich

■ Kleine Wegbeschreibung der Bremer Wissenschaftlerin Inge Schmitz-Feuerhake

Natürlich Physik. Schon in der Schule, als sie sich entscheiden mußte zwischen neusprachlichem, altsprachlichem und naturwissenschaftlichem Zweig. Danach an der Uni Hannover, wo sie auf Lehramt studierte und nach dem Examen promovierte. Inge Schmitz-Feuerhake (56) wählte damals schon, 1966, ein Thema, von dem sie nie mehr loskommen sollte. In einer Arbeit über die Dosimetrie des radioaktiven Fallouts entwickelte sie Meßmethoden für Strahlenbelastungen. Es war die Zeit, als die Atommächte mit Ausnahme von China ihre Atombombentests an der Erdoberfläche gerade eingestellt hatten.

„Natürlich arbeitete ich damals noch an der offiziellen Lehrmeinung entlang“, sagt heute eine der profiliertesten Atomkritikerinnen. Nach ihrer Promotion kommt sie zum Institut für Nuklearmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover. „Damals ein neues Prestigeprojekt, das sich als Flopp erweisen sollte“, erinnert sie sich. Die medizinische Diagnostik entdeckte die radioaktiven Nuklide, das Institut forschte mit radioaktiven Isotopen und lieferte entsprechendes Material an die Krankenhäuser. „Aber immer dann, wenn die Lieferung im Krankenhaus ankam, war die Strahlung schon wieder vorbei. Man hatte zu kurzlebige Isotope verwendet.“ Inge Schmitz-Feuerhake war damals die Leiterin des kleinen, institutseigenen Forschungsreaktors. „Über die Folgen der Strahlen für die Patienten haben wir uns keine Gedanken gemacht. Die Lehrmeinung ging dahin, daß das alles völlig unbedenkich sei.“

1973 verläßt Inge Schmitz- Feuerhake Hannover. Sie wird an die neue Bremer Universität zur Professorin für Experimentalphysik mit dem Schwerpunkt Medizinische Physik berufen. Der neue Job reizte, „weil eine Professur ein bißchen schicker ist als ein abhängiges Arbeitsverhältnis“. In Bremen arbeiten an ihrem neuen Fachbereich atomkritische Physiker wie Jens Scheer und Jörn Bleck. „Ich stellte dann fest, daß ich von allen diesen Dingen nur ein Sekundärwissen hatte.“

Ein „Klärungsprozeß“ setzt ein. Die Bremer Kritikerriege, unter ihnen jetzt auch Inge Schmitz- Feuerhake, mißtraut außerdem den offiziellen Lesarten über Strahlenbelastungen nach radioaktivem Fallout. Die Risikoschätzungen von Hiroshima und Nagasaki werden komplett überarbeitet, auf der Basis des offiziellen Datenmaterials, und das Ergebnis ist niederschmetternd: Die Bremer ermitteln eine Risikorate, die zehnmal größer ist als die offizielle Statistik. Das heißt: Zehnmal mehr Strahlentote als offiziell eingeräumt wird.

Das Atomkraftwerk Esenshamm wird die erste Auseinandersetzung mit der Atomenergie vor der eigenen Haustür. Schmitz-Feuerhake ist als Gutachterin für die Bürgerinitiative tätig, die das AKW verhindern will. Trotz ihrer Ausführungen über die Strahlenrisiken geht das AKW ans Netz.

Außerdem erstellt sie Gutachten für Sozialgerichtsprozesse. Ihre Arbeiten beweisen: Auch wenn an einem Arbeitsplatz die zulässigen Grenzwerte von Strahlung eingehalten werden, können Arbeitnehmer geschädigt und krank werden. Der Fall einer Röntgenassistentin zieht sich erfolgreich bis zur letzten Instanz. Mit ihren Gutachten schafft Schmitz-Feuerhake juristische Präzedenzfälle.

Ihre Methode wird die biologische Dosimetrie, die in einem Projekt mit Biologinnen entwickelt wird. Dabei werden Blutproben entnommen und die Chromosomen in den weißen Blutkörperchen untersucht. So enttarnt sie, um nur den letzten Fall zu nenen, im 400-Seelen Dorf Sittensen ein defektes Röntgengerät: Die Ursache für fünf Fälle von Kinder- Leukämie.

„Man kann uns heute nicht mehr so platt ausgrenzen“, schätzt sie die Rolle der atomkritischen Wissenschaftler ein bißchen optimistisch ein. Forschungs- und Drittmittel auf ihrem Gebiet bleiben aber mager. „Ich müßte mich mit meinen Forschungsvorhaben direkt an den Bundesumweltminister wenden, und da weiß ich, daß ich es auch gleich sein lassen kann.“ mad