Zuviel Sauerstoff in Tibets Luft

Auffällig und aufwendig: Die Beschattung von Korrespondenten in China  ■ Aus Beijing Catherine Sampson

Moskaus KGB mag ja in einer Sackgasse stecken — Chinas Staatssicherheitsbüro jedoch verwendet nach wie vor viel Zeit, Benzin und Arbeitskraft auf die Beschattung ausländischer Journalisten. Das Büro hat in Chinas Korridoren der Macht so viel Einfluß, daß es sich einen ganzen Fuhrpark glatter schwarzer Mercedes-Benz-Limousinen verschaffen konnte, dazu eine nicht ganz so eindrucksvolle Sammlung kleiner orangeroter Motorräder und einfacher Fahrräder, vermutlich für diejenigen, die sich noch keinen bequemen Sitz im Mercedes verdient haben. Auf der untersten Stufe der Überwachung stehen jene Männer, jung und alt, die an den Straßenecken stehen und in Walkie-talkies murmeln, wenn ein Journalistenauto vorbeifährt. Auch wenn man glaubt, man habe sie abgeschüttelt: Sobald man sein Ziel erreicht hat, hält ein vorbeifahrender Wagen an, ein Mann schaut aufmerksam aus dem Fenster, und dann fährt das Auto wieder los.

Während einer dreiviertelstündigen Fahrt durch die Stadt kann man durchaus ein Dutzend Leute identifizieren, die mit der Überwachung beschäftigt sind. Außerhalb der Stadt nimmt die offizielle Paranoia gegenüber ausländischen Journalisten sogar noch intensivere Formen an. Ausländische Journalisten dürfen Peking erst verlassen, um über die Zustände in anderen Teilen des Landes zu berichten, wenn sie zuvor eine ganze Serie von Verhandlungen absolviert haben, um sich die Zustimmung der Provinz zu verschaffen. In der Mehrzahl der Fälle wird die Erlaubnis verweigert — selbst in Gebieten, die als „Fenster zur Welt“ bezeichnet werden. Gewöhnlich lautet die Begründung, die lokalen Offiziellen hätten „zu viel zu tun“, um die ausländischen Journalisten empfangen zu können. Manche Funktionäre entwickeln mehr Phantasie. Vor einiger Zeit habe ich mir von Funktionären aus Tibet sagen lassen, ich könne die politisch heikle Region nicht besuchen, weil „hier zu viel Sauerstoff in der Luft ist“.

Der größte Teil des riesigen China ist tatsächlich allen Ausländern verschlossen. Die meisten Städte gelten als „offen“ für Touristen und Geschäftsreisende, aber die riesigen ländlichen Gebiete sind fast ausnahmslos unzugänglich. Man braucht nur eine Stunde aus Peking herauszufahren, um Schilder zu finden, auf denen Ausländern die Weiterfahrt verboten wird. Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen haben bessere Chancen, aber auch sie haben keinen Zugang zu bestimmten Gegenden, in denen die Zustände besonders schlimm sind.

Warum zeigt das Büro ein solches Interesse an den Bewegungen der ausländischen Journalisten? Teilweise, weil es jene fetten, faktengespickten Akten anlegen will, die jetzt gerade mit so viel Vergnügen in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion gelesen werden. Diese Akten könnten nützlich werden, wenn jemals ein Fall gegen einen bestimmten Journalisten oder einen seiner chinesischen Kontaktleute konstruiert werden soll. Einem Journalisten droht als schlimmste Sanktion die Ausweisung, aber chinesische Kontaktleute können im Gefängnis verschwinden, ohne daß es auch nur zur Formalität eines Prozesses kommt.

Es gibt zwei weitere Gründe. Der eine lautet, daß die Behörden wissen, daß sie über die ausländische Presse nicht die gleiche Kontrolle ausüben können wie gegenüber einem chinesischen Chefredakteur, den sie schlicht anweisen können, diese oder jene Geschichte in den Papierkorb zu werfen. Das macht sie nervös. Zweitens halten die Behörden die ausländischen Journalisten für verkappte Spione. Das Staatssicherheitsbüro versucht, ausländischen Journalisten plumpe Fallen zu stellen und sie mit Verkaufsangeboten geheimer Dokumente zu ködern. Kürzlich traf ich einen Mann, der sich als Armeeoffizier ausgab. „Mein Neffe will zum Studium ins Ausland gehen“, sagte er, „und seine Mutter hat mich gebeten zu helfen, damit er etwas Geld zusammenbekommt. Ich fragte mich, wie kann ich, ein einfacher Armeeoffizier, Geld beschaffen? Und dann dachte ich mir, ich weiß schon wie: ich kann ein bißchen Geld verdienen, wenn ich Staatsgeheimnisse verkaufe. Wollen Sie ein paar Armeedokumente?“ Es war nicht ganz klar, ob er ein dummer Beamter des Staatssicherheitsbüros war oder einfach nur dumm.

Den kommunistischen Behörden liegt die Vorstellung nahe, ausländische Journalisten arbeiteten für ihre Regierungen — denn chinesische Journalisten tun genau dies. Ein chinesischer Journalist erklärte mir privat, in seinem Büro gebe es zwei Telefonanschlüsse. Einen für gewöhnliche Anrufe, der andere geht direkt in ein Regierungsbüro; dort werden Informationen gesammelt, die nicht veröffentlicht werden sollen, als Material für Funktionäre. Gelangt ein Journalist an eine Information, die zu heikel ist, um gedruckt zu werden, hat er die Pflicht, sie an die Regierung weiterzugeben. Chinesische Journalisten im Ausland arbeiten genauso. Während des Zusammenbruchs der KP in der Sowjetunion schrieben chinesische Journalisten viele Artikel aus Moskau, von denen sie wußten, daß sie nie gedruckt würden. Statt dessen landeten diese in den Akten des Staatssicherheitsbüros.

Ein anderer chinesischer Journalist beschrieb mir eine Reise in das arme Hinterland. Bei seiner Rückkehr verbot ihm sein Chefredakteur, über die Armut zu schreiben. Ausländische Journalisten in China können ihren Lesern daheim nicht alles berichten, weil sie einfach nicht die Erlaubnis erhalten, alles zu sehen. Chinesische Journalisten dürfen alles sehen, aber sie dürfen es nicht weitergeben. Informationen werden nur verbreitet, wenn es unbedingt notwendig ist. Funktionäre ab einem gewissen Rang erhalten ein Dokument mit dem Namen „Großes Material“, das genauere Berichte über die Vorgänge im In- und Ausland enthält. Auf der höchsten Führungsebene zirkuliert besonderes Material, sobald bestimmte Entwicklungen im Gang sind. Es sind Dokumente mit besonders großer Schrift — weil jeder, der so mächtig ist, daß er sie lesen darf, aufgrund seines hohen Alters auch keine guten Augen mehr haben dürfte.

Aus dem Amerikanischen

von Meino Büning