: Als Therapeut muß ich aktiver sein
■ Psychologe aus einem Beratungszentrum für ausländische Flüchtlinge zu Problemen und Hilfen
Für Menschen auf der Flucht gibt es in Frankfurt seit Jahren eine Adresse, wo sie auf angemessene Hilfe hoffen kommen: Das „Psychosoziale Zentrum für ausländische Flüchtlinge“, getragen von der evangelischen Kirche, ausgestattet mit sechseinhalb Stellen. Dr. Karl Peltzer, der jahrelang in Afrika traditionelle Heilverfahren studiert hat, arbeitet dort als Psychloge. Nach einem Vortrag in Bremen berichtete er der taz von den Erfahrungen im Frankfurter Zentrum.
In Bremen gibt es seit einem Jahr eine ähnliche Einrichtung: den Verein „Refugio“, der mithilfe von drei BSHG-19 und ABM- Stellen 60.000 Flüchtlingen Hilfe anbietet (vgl. taz v. 12.2.92).
taz: Mit welchen Problemen kommen die Flüchtlinge?
Karl Peltzer: Flüchtlinge haben, anders als EinwanderInnen, oft traumatische Erfahrungen hinter sich. Sie oder ihre Angehörigen sind inhaftiert gewesen, gefoltert worden. Frauen sind im Gefängnis vergewaltigt worden. Familienmitglieder wurden getötet. Menschen aus dem westlichen Kulturkreis reagieren auf solche Erfahrungen häufig, indem sie sagen: Das Leben ist sinnlos, ich habe keine Lust mehr.
Bei Menschen aus der Dritten Welt sind die Verarbeitungsmechanismen oft eher körperlich. Jemand aus der Türkei oder Äthiopien sagt zum Beispiel: Mein Kopf schmerzt, ich habe Hitze da. Es geht dann darum, diese Kommunikation zu verstehen, dararuf einzugehen und nicht nur Medikamente zu verschreiben. Dabei dauert es oft lange, bis Flüchtlinge, häufig auf Umwegen, zu uns kommen, weil sie kaum von ihrem Leid reden wollen oder können.
Es wurde festgestellt, daß die Traumatisierung, die KZ- Häftlinge erlebt haben, noch in der nächsten oder übernächsten Generation nachwirken. Machen Sie die selben Erfahrungen?
In Eritrea zum Beispiel hat der Befreiungskampf 30 Jahre gedauert. Wir können jetzt zumindest in der zweiten Generation sehen, daß es Auswirkungen gibt.
Reagieren Männer und Frauen unterschiedlich auf Verfolgung und Flucht?
Wir haben schon oft gesehen, daß Frauen, die schon länger in Deutschland sind, selbständiger werden. Wenn die Männer dann nachkommen, kommt es zu Ehekonflikten. Der Mann verliert seinen Status und kann die Verlustsituation oft schlecht verkraften. Es scheint so, daß Frauen manchmal eher in der Lage sind, sich auf eine neue Gesellschaft und eine veränderte Situation einzustellen. Das hängt vielleicht auch mit den Kindern zusammen, weil die Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gehen und sich die Frauen dann stärker auf diese Gesellschaft einstellen müssen.
Was machen Sie anders als andere Beratungsstellen?
Wir können besser den kulturellen Hintergrund und die Lage der Flüchtlinge einbeziehen, auch weil die meisten MitarbeiterInnen selbst als Flüchtlinge hierhergekommen sind. Wir hatten zum Beispiel einen Kubaner, dessen Frau sich von ihm getrennt hat. Es ging dann um seine Kränkung, was das für ihn speziell bedeutet, weil er doch in einer Kultur großgeworden ist, die vom machismo geprägt worden ist. Aber es ging bei ihm außerdem um Schuldenprobleme. Diese Dinge muß man oft gemeinsam angehen.
Fließen Ihre Erfahrungen mit traditionellen HeilerInnen und Heilverfahren in Afrika in Ihre Arbeit ein?
Da gibt es sicher einiges. Zum Beispiel, daß ich als Therapeut aktiver bin. In deutschen Beratungsstellen muß der Patient seine Geschichte selbst erzählen, sie wird abgefragt. Vom Heiler wird aber oft erwartet, daß er weiß, wo das Problem liegt. Besser gesagt: Die Geister und Götter, denen er als Medium dient, kennen das Problem. Wir können also nicht eine Frage nach der anderen stellen, sondern müssen uns auch selber äußern.
Gibt es bei Ihnen Leute, die traditionelle Heilzeremonien anbieten können?
Nein, das gibt es nur in Amsterdam oder Paris. In Frankfurt gibt es Hodschas (islamische Geistliche), die für türkische KlientInnen eine wichtige Rolle spielen. Wir arbeiten mit dem internationalen Familienzentrum zusammen, und die haben Kontakte zu den Hodschas.
Gehen Sie davon aus, daß die KlientInnen hierbleiben oder zurückgehen?
Wir wollen sie an der Realität orientieren. Es geht nicht, daß wir sagen, wir wollen sie hier integrieren, wenn sie gar nicht hierbleiben können. Bei Chilenen oder Griechen hieß es ja in der Vergangenheit, zum Teil von einem Tag auf den anderen, daß sie zurück müssen. Bei Afghanistan oder Eritrea wissen wir jetzt nicht, was passieren wird.
Wir machen also eine Begleitung von Anfang an, vom Asylantrag über die Exilphase bis zur möglichen Rückkehr. Wir bereiten Leute darauf vor, daß sie sich über ihre Rückkehr Gedanken machen, wenn sich die Lage in ihren Herkunftsländern verändert. Wir beraten aber auch im Hinblick auf Integration bei Menschen, die schon lange hier sind, die die deutsche Staatsangehörigkeit haben oder die in binationalen, interkulturellen Ehen leben. Fragen: Gaby Mayr
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