: Steuerzahler im Osten plündern Finanzamt
■ Steuerzahler im Ostteil schröpften die Finanzämter/ Bis zu 500.000 Mark abgebucht/ Rechnungshof: Gravierende Mißstände in Ost-Finanzämtern
Berlin. Der Ostteil der Stadt ist offenbar immer noch ein Paradies für Steuersünder. Ein Sonderbericht des Landesrechnungshofs vom 28. November 1991, der jetzt dem Abgeordnetenhaus zuging, bemängelt abenteuerliche Zustände in den beiden wichtigsten Ostberliner Finanzämtern, im Finanzamt Mitte und dem Finanzamt für Körperschaften II. Krassestes Beispiel: Bis mindestestens Juni 1991 war es Steuerzahlern im Ostteil möglich, »eigenmächtig ohne Mitwirken des Amtes vom Konto des Finanzamtes bei Bankinstituten Geldbeträge zu ihren Gunsten abzubuchen«. Auf diese Weise seien Beträge zwischen 95 Mark und einer halben Million — 533.310 Mark — abgeflossen. Vom 25.9. 1990 bis zum 1.2. 1991 zählten die Prüfer insgesamt 292 Fälle, in denen Steuerzahler ihre vermeintlichen Überschüsse abbuchten, obwohl die Finanzämter dies noch gar nicht genehmigt hatten.
Das Finanzamt habe sich zwar wiederholt an die Berliner Stadtbank gewandt, um diese — in DDR-Zeiten übliche — Praxis abzustellen. Trotzdem, so der Rechnungshof, seien »solche Abbuchungen noch im Juni 1991 vorgekommen«. Nur in rund zwei Dritteln der Fälle sei es bis zum Abschluß der Rechnungshofprüfung gelungen, »die Empfänger der Geldbeträge zu ermitteln«.
Darüber hinaus, so der Bericht, seien während der Überprüfung im Frühjahr 1991 Umsatzsteuer-Guthaben »mitunter doppelt erstattet«, steuerpflichtige Betriebe nicht erfaßt und Steuerrückstände nicht eingetrieben worden. Auch die Kassen der Sozial- und Arbeitslosenversicherung profitierten von den Schlampereien. Im Dezember 1990 überwies das Finanzamt für Körperschaften an sie 258 Millionen Mark zuviel. Grund: fehlerhafte Buchhaltung.
Die Senatsfinanzverwaltung habe die Ämter nicht ausreichend mit Geld und Personal unterstützt, kritisiert der Rechnungshof. So sei das Finanzamt für Körperschaften II, zuständig für Firmen im ganzen Ostteil, »zu spät und in zu geringem Umfang« mit Westpersonal ausgestattet worden. »Fehlende Frankierungsmöglichkeiten« hätten das Finanzamt Mitte gehindert, »Erinnerungsschreiben« abzusenden. Wichtige Stellen des Finanzamts Mitte seien telefonisch unerreichbar gewesen. Weil in beiden Ämtern verschließbare Schränke fehlten, sei die »Wahrung des Steuergeheimnisses nur unzureichend gewährleistet« gewesen.
Einen ähnlichen Mängelbericht über die beiden Ostberliner Finanzämter hatte der Bundesrechnungshof bereits im März 1991 vorgelegt. Als die taz den Bericht im September publik machte, beteuerte Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU), die Mißstände seien behoben. Der Landesrechnungshof korrigiert Pieroth: Der Verbleib eines schon von den Bundesprüfern entdeckten Fehlbetrags von 1,5 Milliarden Mark sei auch im November 1991 noch nicht restlos aufgeklärt. Der Umfang dieses Restes: 51 Millionen Mark. hmt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen