piwik no script img

„Folgerichtige“ Fernsehkarriere

■ Vorgezogener Nachruf auf den Noch-„Report“-Moderator und bayerischen TV-Chef

Heinz Klaus Mertes ist 1,76 Meter groß und von eher untersetzter Statur. Sein blondes Haar ist in der Mitte des Kopfes zu einer Bürste frisiert, die nicht dazu angetan ist, von den Ohren abzulenken. Die Gesichtsfarbe neigt zur Röte. Die Augen sind braun und werden von einer etwas zu großen, goldgeränderten Brille verdeckt. Das Kinn flieht. Auf dem Bildschirm sieht Mertes aus, als zähle er sich zur Spezies der inzwischen leicht aus der Mode gekommenen Yuppies. Im Profil inkliniert er zum Punk. Privat hat Mertes einen leicht fatalen Hang zu pastelligen Tönen.

Die erste Begegnung im Zusammenhang dieses Proträts findet an einem Sonntag statt, zwei Tage vor der Report-Sendung am 28. Februar 1989. Von Schneideraum zu Schneideraum ziehend, begutachtet Mertes mit seiner Mannschaft (Robert Franz, Klaus D. Below, Clemens Hübner, Klaus Wiendl) verschiedene Einspielungen und halbfertige Beiträge für die Sendung. Als er mich vorstellt, fragt er demonstrativ nach dem Verlag, in dem dieser Band erscheint, obwohl ihm das Faktum schon bekannt ist. Als ich „Kiepenheuer&Witsch“ sage, gibt es einen Ausfall zu hören. Erstmals fällt der Name Wallraff. Wenn Mertes ihn ausspricht, klingt er wie ein Schimpfwort. [...]

Er strahlt. Die Schaltkonferenz der ARD-Chefredakteure hat ihn gestern für die Report-Sendung gelobt, die positive Resonanz sei von links gekommen, rechts habe geschwiegen. „Ich fiel in eine Wattewolke hinein.“ Dabei hatte er doch „eher ein schlechtes Gefühl“, hatte sich geärgert über seinen Gast, den konservativen Erzbischof von Fulda, Johannes Dyba, der „wahnsinnig“ zugelangt habe. Er selber ist in der Sendung darüber nervös geworden, wie er zugibt. Es sei schwierig, in eine konservative Sendung einen Konservativen einzuladen, ein Schwarzer werfe eben im Kohlenkeller keinen Schatten, und deshalb habe er den Bischof mit provozierenden Aussagen konfrontiert, gleich zu Anfang mit dem Ergebnis einer Umfrage über die sinkende Popularität des Papstes. Ihm gehe es darum, daß man sich in der Öffentlichkeit an Beiträge, an „signifikante Beiträge“ erinnere. „Erinnerungswert schaffen mit einem Stück“, nennt Mertes das.

In der Vergangenheit ist ihm das wahrhaft trefflich gelungen, gleich mit der ersten von ihm verantworteten Report-Sendung, am 20. Januar 1988. Nacheinander kamen Beiträge ins Programm, die den Ruf des Heinz Klaus Mertes als eines verläßlichen Konservativen festigten. Am 8.März berichtete Report über die angeblich feststellbare „Verengung der Meinungsfreiheit“ (Mertes) im Verband deutscher Schriftsteller. Urteil der Schaltkonferenz: „Agitprop“. Am 12. April berichtete Report über „Gewalt und staatlich geduldeten Rechtsbruch“ (Mertes) in der Hamburger Hafenstraße. Das 'Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt‘: „Kriegsberichterstattung“.

Am 29. Juni machte Report eine „Gefahr der Spaltung“ (Mertes) angesichts der Politisierung in der Evangelischen Kirche aus. 'Die Welt‘: „haarsträubend“. [...]

Bei unserem Gespräch schaut Mertes unentwegt aus dem Fenster und genauer wohl: ins Leere. Dabei offenbart sich unter anderem, daß er Hosenträger trägt. Seine Karriere beim Bayerischen Fernsehen nennt er „folgerichtig“, und setzt hinzu: „Ich wüßte kaum jemanden, der mehr journalistische Praxis und Erfahrung hat, die sich summiert.“ [...]

In die CSU ist Heinz Klaus Mertes eingetreten, weil er „das Gefühl hatte, die Gesellschaft braucht Bindung an starke Kräfte“. [...] Daß er sich in seinen Sendungen der Partei— die sich in Bayern gelegentlich mit dem Staat selber verwechselt — gegenüber hilfreich, ja wohl gar liebedienerisch verhält, wie man als Kritiker seiner Sendungen leicht feststellen kann, leugnet deren Urheber. „CSU“, sagt er, „bin ich in Tutzing. Das ist ein Vergnügen, das steht mir zu, das ist staatsbürgerliche Betätigung.“ Im übrigen sei er in keinem medienpolitischen Arbeitskreis. [...]

Mertes hat mir, auf Anfrage, ein Buch mitgebracht. Es stammt von ihm und will laut Klappentext zeigen, „wie verführbar unsere Gesellschaft ist. Wie die Macht der Medien einem professionellen Marketing dienstbar gemacht wird, dessen besonderes Raffinement in der ideologischen und kommerziellen Ausbeutung spezieller deutscher Seelenlagen besteht.“ Das Buch trägt den Titel Ali. Phänomene um einen Bestseller. In diesem Buch, das ein angereichertes Protokoll der in Report (München), so damals der Sendetitel des noch von Günther von Lojewski geleiteten Magazins, angestellten Versuche ist, Günter Wallraffs Ganz unten als ein Konstrukt aus Lüge und Plagiat zu „entlarven“, befaßt sich Mertes in den uns interessierenden Passagen mit psychologischen Mechanismen der Massenkommunikation, die wiederzugeben hier deshalb relevant ist, weil er selbst als Produzent massenwirksamer Fernsehbeiträge glaubt, sich außerhalb solcher Vorgänge stellen zu können. Sein Kronzeuge ist der Psychologieprofessor Otto Walter Haseloff, dessen Auskünfte hier zitiert werden dürfen, weil Mertes sie — auch heute noch — für erinnernswert hält.

Haseloff äußerte sich in einem mit Mertes geführten Interview. Nahtlos überträgt er darin Erfahrungen aus den USA mit der Anhängerschaft eines Sektenführers auf bundesdeutsche Verhältnisse und Wallraffs — nirgendwo bewiesene — messianische Anziehungskraft auf das zur „emotionalen Ausbuchtung allzeit bereite deutsche Gemüt“. Mertes- Frage: „Wie erklären Sie, daß geglaubte Wirklichkeit offenbar verführerischer ist als die Wahrheit?“ Die Antwort: „...die ,Immunisierung gegen widersprechende Erfahrungen‘ ist ein Mechanismus, der Ideologien unkorrigierbar macht. Rationale Aufklärung über Unwahrhaftigkeiten, Lügen und Entstellungen sind dennoch notwendig. Dies, weil ja nur ein sehr kleiner Teil von Menschen Anhänger von Ideologien sind, die im Interesse der Herabsetzung von Gegnern oder der Legitimierung eigener Inkompetenz rationales Erkennen und Denken entwerten und die sich so verhalten, als ,benötigen‘ sie ein verzerrtes Bild der Realität, weil sie sich nur in diesem ihrem ,Gehäuse der Hörigkeit‘ sicher zu fühlen vermögen.“ Der Satz ist auch deshalb bemerkenswert, weil Haseloff ja eigentlich der Auffassung ist, nur ein „kleiner Teil“ der Menschen würden dem genannten Mechanismus verfallen, Mertes aber unverwandt auch heute noch genüßlich jene prägnante Formel vom „Gehäuse der Hörigkeit“ in die Debatte wirft. [...]

Neben einigen veritablen Entgleisungen — so dem Vergleich zwischen den Vorgängen in einer westfälischen Kleinstadt, in der gegen den Willen des zuständigen Stadtdirektors Bücher von Wallraff wieder in die Stadtbücherei aufgenommen werden mußten, und der nazistischen Bücherverbrennung, die Mertes mit dem aberwitzigen Satz kommentiert: „Die Nötigung zu Büchern ist ebenso totalitär wie deren Verbrennung. Vielleicht aber gefährlicher, denn sie kann unter richtig angezettelten Umständen sogar auf die freiwillige Komplizenschaft einer eigentlichen pluralistischen Medienordnung bauen...“ — enthält Mertes' Buch aber auch einsichtsvolle Passagen: „Die Medien, so meine Lektion aus der Ganz-unten-Welle, leisten dieses Wächteramt nicht, die Gesellschaft vor den Ausschlägen eines Bewußtseins à la saison zu bewahren. Sie sind vielmehr Gefangene und Verstärker der Welle zugleich. Ich sage dies nicht nur in Richtung anderer, sondern selbstkritisch auch im Hinblick auf die eigene journalistische Arbeit in dem Massenmedium des Fernsehens. Wann schon gelingt es, in einem Magazinbeitrag oder selbst in einer 45-Minuten-Sendung, die Dinge so darzustellen, daß die Interdependenzen deutlich werden, die für unsere hochdifferenzierte Gesellschaft typisch sind und nicht simple Monokausalität? [...]“

Schließlich hat Mertes in seiner Eigenschaft als Leiter und Moderator von Report aus München auch bewiesen, daß er sich trefflich darauf versteht, die „wirkliche Wirklichkeit“ durch eine (von ihm) „geglaubte Wirklichkeit“ zu ersetzen und diese dann mit Hilfe „glaubwürdiger Bilder“ als wirklich zu verkaufen. Beispiele dafür sind die Berichte über Politisierung im Verband deutscher Schriftsteller und in der Evangelischen Kirche. In beiden Fällen, und das macht es hier nötig, noch einmal auf sie einzugehen, hat Mertes (und der jeweilige Redakteur) es verstanden, Situationen als heutig auszugeben, die mehrere Jahre zurücklagen.

Die Penetranz, mit der hier — und in anderen Beiträgen — versucht wurde, bestimmten Gruppen der Gesellschaft das Recht abzusprechen, sich in politische Belange einzumischen, hat ihre Ursache wohl in Mertes' „Haß“ auf all jene, die die Welt nicht lediglich in ihrer „Ausrichtung auf ökonomische Prinzipien“ begreifen. Ich setze das Wort Haß in Anführungszeichen, weil Mertes sich seiner nicht bedient. Auf die Frage: „Sind Sie fähig zu Haß?“ reagiert er ausweichend, meint, er habe Wallraff „gehaßt“, als der versucht habe, ihn „totzuprozessieren“. Für Mertes ist gesichert, daß jene ökonomische Ausrichtung von sich aus Gerechtigkeit schafft und damit der Moral genügt, denn: „Je gerechter etwas ist, desto moralischer sind auch die Folgen.“ Jeder, der anderweitig moralische Ansprüche erhebt, bedient ihm zufolge nur „linksaufklärerische Kompensationsbedürfnisse“ — was immer das sein mag. Am allermeisten freilich scheint ihn an Intellektuellen zu stören, daß sie auch noch Geld verdienen. [...] Joachim Hauschild

Der gekürzte Text (Originaltitel: „Sachen des Chefs“) stammt aus dem Buch: „Die Schirm-Herren, 12 politische TV-Moderatoren“, herausgegeben von Uwe Kammann, Kiepenheuer&Witsch, Köln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen