: Löst Karlsruhe das SPD-Dilemma?
■ SPD-regierte Länder erwägen Verfassungsklage zum Steuerpaket/ Bereits Uneinigkeit in der Bundespartei in dieser Frage/ Union hält SPD für handlungsunfähig in zentralen politischen Fragen
Bonn (afp/ap) — In der SPD ist am Wochenende Uneinigkeit zur Frage einer Verfassungsklage gegen das am Freitag im Bunderat verabschiedete Steuerpaket ausgebrochen. SPD-Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing sprach sich dafür aus, diese von einigen SPD-regierten Ländern erwogene Möglichkeit zu prüfen. Er stieß jedoch auf Widerspruch des parlamentarischen Geschäftsführers der Bundestagsfraktion der SPD, Peter Struck. Die Union warf der SPD-Führung Handlungsunfähigkeit in zentralen politischen Fragen vor. Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf Mathies sagte, sie sehe nach Verabschiedung des Steuerpaketes keinen Grund zur Lohnzurückhaltung.
Das Bundesfinanzministerium bezeichnete die SPD-Überlegungen als „aussichtslos und parteitaktische Zeitverschwendung“. Dagegen bestätigte Blessing am Samstag im Deutschlandfunk, daß einige SPD- Länder eine Klage in Karlsruhe erwägen. Für die ärmeren westdeutschen Länder komme beim Steuerpaket unter dem Strich bis 1994 ein negatives Ergebnis heraus. Die Entscheidung über eine Klage liege jedoch bei den jeweiligen Landesregierungen. Struck hingegen sagte der 'Welt am Sonntag‘, er lehne eine solche Klage ab. Politik trage man im Bundestag und im Bundesrat aus, nicht vor dem Gericht in Karlsruhe. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Dreßler zeigte sich im Saarländischen Rundfunk „tief enttäuscht“ über die Zustimmung des brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe zum Steuerpaket der Koalition.Er warf Stolpe vor, mit seiner Stimme einem „unsozialen Gesetz“ im Bundesrat zur Mehrheit verholfen zu haben.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU, Jürgen Rüttgers (CDU), wertete die Zustimmung des Bundesrates zum Steuerpaket als einen weiteren Schritt zur „Demontage“ des SPD-Vorsitzenden Björn Engholm. Dieser habe bei der Ablehnung des Steuerpaketes Parteigehorsam für sich und diese Linie gefordert und sei damit gescheitert. Engholm habe gezögert, gezaudert und taktiert. Der Parteivorsitzende, SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose und der stellvertretende SPD-Chef Oskar Lafontaine blockierten sich „in ihrem internen Machtkampf“ gegenseitig. CDU-Generalsekretär Volker Rühe warf der SPD vor, sie sei auf Druck Lafontaines „ein weiteres Mal sinnlos auf Konfrontationskurs mit den Bürgern, vor allem in den neuen Ländern, gegangen“. Gefragt sei jetzt Führungskraft von Engholm.
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Wulf- Mathies, sagte am Sonntag im Deutschlandfunk, vor allem die Erhöhung der Mehrwertsteuer führe dazu, daß der Preisauftrieb bis in das Jahr 1993 hinein anhalten werde. Bei einer zu erwartenden Inflationsrate von fünf Prozent sei es mehr als gerechtfertigt, für die über 2,3 Millionen Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst Westdeutschlands weiterhin 9,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt sowie 550 Mark mehr Urlaubsgeld zu fordern. Die auf 15 Prozent steigende Mehrwertsteuer treffe vor allem die Arbeitnehmer und Rentner. Es sei Mode, „die Kleinen zur Kasse zu bitten und den Großen Steuergeschenke zu machen. Ein hoher Tarifabschluß sei nötig, um die Gehälter des öffentlichen Dienstes wettbewerbsfähig zu halten.
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