»Ein Tropfen auf den heißen Stein«

■ Von Ateliernot betroffene Künstler diskutierten in der Friedrichshainer Galerie im Turm mit Senatsvertretern

Dicke Luft herrschte am Freitag in der Friedrichshainer Galerie im Turm. »Öffentliche Atelierförderung« lautete das Thema der Diskussionsrunde mit Senatsvertretern — eine elegante Umschreibung des seit dem Mauerfall eskalierenden Ateliernotstandes. Betroffene KünstlerInnen aus allen Stadtteilen drängten sich zur Finissage in der Galerie, die seit Januar Protestforum der »Initiative gekündigter Künstlerinnen« war. Aus dem Mund von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, Finanzsenator Elmar Pieroth und Bausenator Wolfgang Nagel wollten sie konkrete Maßnahmen zur Lösung ihres akuten Problems hören. Doch der erkrankte Roloff-Momin und Nagel schickten Vertreter ins Gefecht; Pieroth ließ ein schriftliches »Grußwort« verlesen. Moderator Rainer Höynck hatte oft Mühe, die verbalen Aggressionen des Publikums zu zügeln. Denn soviel war am Ende klar: Fast alle diskutierten Maßnahmen, sofern sie überhaupt je politisch durchgesetzt werden, kommen für die jetzt von Kündigung betroffenen Künstler zu spät.

Der Maler Frank Suplie brachte das kreative Produkt seiner Wut gleich mit: ein Gemälde jenes Hauses, das für ihn und fünfzehn Kollegen seit fast zwanzig Jahren Wohn- und Arbeitsräume bot. In Eigenleistung hatten die Schauspieler, Maler und Schriftsteller ihre Räume wohnlich verbessert und das Grundstück in eine Gartenidylle verwandelt. Noch kurz vor der Wende trug sich die Künstlergemeinschaft mit dem Gedanken, das Gebäude in der Muskauer Straße 20 zu kaufen. Der Traum ist längst geplatzt: »Drei Etagen sind bereits gekündigt, und in einem Fall wurde die Miete zum 1. Januar von 980 auf 4.000 Mark angehoben«, berichtet Suplie.

Besonders erbost ihn, daß die Gemeinschaft der Privateigentümer davon auch noch steuerlich profitiert. Daß solche Zustände völlig legal sind und die Kollegen in den Ostbezirken oft noch drastischer betreffen, kann ihn nicht beruhigen. »Ihren Chef, den Nagel, könnt' ich schütteln«, fauchte er Staatssekretär Frank Bielka an. Dessen lapidare, gleichwohl wahre Feststellung, die marktwirtschaftliche Orientierung, die jetzt auf die Mietentwicklung durchschlage, sei eine »politische Mehrheitsentscheidung«, stieß auf erregten Protest: »Heißt das, de facto formiert sich kein politischer Wille mehr für unsere Probleme, werden wir zu Bittstellern degradiert?«

Krista Tebbe, Leiterin des Kunstamts Kreuzberg, kleidete die Empörung in sachlich-argumentative Form und forderte ein »Bewußtsein, daß die Gesellschaft nicht nur auf dem Weg privater Ökonomie funktioniert«. Andernfalls habe man in Kürze eine reiche Innenstadt mit Armutsgürtel rundherum. Wer eine gemischte Infrastruktur wolle, müsse auch gegen die Marktgesetze steuern.

Die Planungsbeauftragte des Kultursenators, Christiane Zieseke, hatte Mühe, ihren unverhohlen angegriffenen Chef zu verteidigen. Roloff-Momin habe vor einem Jahr ein schweres Erbe angetreten. Die Berliner Situation sei komplizierter als in anderen Städten, weil traditionell »nicht Strukturhilfe, sondern Einzelförderung betrieben wurde«. Anders ausgedrückt: Auf eine spätestens seit zwei Jahren absehbare und vom BBK immer wieder angeprangerte Entwicklung hat der Senat nicht rechtzeitig und ausreichend reagiert. Jetzt gilt es, in ohnehin angespannter Haushaltslage die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen und wenigstens Schadensbegrenzung zu betreiben.

Eine Hauptursache des Problems ist die mietrechtliche Behandlung von Ateliers als Gewerberaum. Der Atelierbeauftragte Kotowski machte klar, daß »ein freiberuflich arbeitender Künstler weder rechtlich noch tatsächlich Gewerbetreibender ist.« Im Gegensatz zu anderen Kleingewerben komme er weder in den Genuß von Maßnahmen der Gewerbeförderung noch steuerlicher Vorteile. Eine Änderung der Landeshaushaltsordnung im Sinne einer Abkopplung der Ateliers von den Gewerbemieten wäre auch aus der Sicht von Christiane Zieseke der richtige Weg. Doch der Finanzsenator sei nicht zu einem solchen Schritt zu bewegen und bestehe auf der »Verpflichtung« des Landes zur Erhebung eines ortsüblichen Mietzinses.

Bernhard Kotowski hielt dagegen: Sofern es im Interesse Berlins läge, gestatte die Landeshaushaltsordnung ausdrücklich eine Abkopplung vom Marktmietzwang. Für Ateliers und Atelierwohnungen im direkten oder über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften indirekten Einflußbereich des Landes Berlin forderte er eine Belegungsbindung. Bestandsschutz ist nach Kotowskis Ansicht die einzige Maßnahme, die sofort greifen könnte.

Alle anderen strukturellen Veränderungen erforderten Zeit und »mindestesn 20 Millionen Mark pro Jahr«. Angesichts einer Summe von einer Milliarde Mark für Berliner Städtebauförderung sei dies wenig. In die gleiche Kerbe hieb Herbert Mondry vom BBK: »Zwanzig Millionen sind zwei Prozent des Kulturhaushalts oder 4,4 Prozent der Summe, die das Land jetzt für seine Theater ausgibt — damit könnten wir arbeiten.«

Was dem Finanzsenator tatsächlich abgerungen werden konnte, formulierte Christiane Zieseke als »Zusage, daß in diesem Jahr Geld zur Anmietung von Ateliers zur Verfügung steht, obwohl wir keines haben«. Es geht um Subventionen in Höhe von zwei Millionen Mark, mit denen etwa hundert Ateliers gerettet werden können — für die Planungsbeauftragte kaum mehr als ein »Tropfen auf den heißen Stein«.

Wie das in der Praxis einmal funktionieren soll, erläuterte Hartmut Brocke vom Sozialpädagogischen Institut (spi). Im Auftrag des Kultursenats tritt ein freier Träger, die Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE) des spi, bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Grundstücksämtern als Hauptmieter von Atelierräumen auf und verhindert so die Verdrängung der Künstler durch andere, solventere gewerbliche Mieter. Der Künstler als Untermieter zahlt ein durchschnittliches, tragbares Nutzungsentgelt, die Differenz kommt aus dem Fonds der Kulturverwaltung. Eine unabhängige Kulturkommision entscheidet nach sozialen Kriterien, welche Künstler in den Genuß eines Nutzungsvertrages kommen. Brocke warnte vor übertriebenen Erwartungen, da auch Subventionen die Mietpreisentwicklung anheizten, »und dann ist der Topf ganz schnell leer«.

Künstler in den Ostbezirken dürfen auf — allerdings sehr vage klingende — Vereinbarungen hoffen, die vergangene Woche zwischen Nagel, Roloff-Momin und Vertretern östlicher Wohnungsbaugesellschaften getroffen wurden. Die Vermietung von Atelierwohnungen, so Staatssekretär Bielka, werde sich »an der unteren Grenze des Vertretbaren« orientieren. Einzelne Wohnungsbaugesellschaften seien auch zur Neueinrichtung von Ateliers bereit; alle hätten den Auftrag zur Bestandsanalyse.

»Was können wir denn jetzt konkret tun?« lautete die häufigste Frage aus dem Publikum. Der konstruktivste Vorschlag kam von der Kreuzberger Kunstamtsleiterin Krista Tebbe. Erforderlich sei ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die nicht eine einzige Verwaltung allein in die Wege leiten könne. Der im November 91 gegründete Freundeskreis der Ateliergesellschaft« habe sich inzwischen mit Fachgremien beraten und wolle ein Papier mit »Feuerwehrregelungen« erstellen. In Abstimmung mit dem BBK könne eine überarbeitete Fassung publiziert und an Bezirke, Senat, Bund mit der Aufforderung zur Stellungnahme verschickt werden.

Aktion ist immer besser als Aggression. Aber wird und kann angesichts der hohen Senatsverschuldung überhaupt schnell Entscheidendes geschehen? Die meisten Prognosen für die nähere Zukunft lassen eher Schlimmeres erwarten. Auch Roloff- Momins Jahresbilanz ist noch in Erinnerung, sein anschauliches Bild des langsamen Bohrens durch »sehr dicke Bretter«. Karin Dahlberg