OFFENER BRIEF
: Haltet inne, Freunde!

■ Keine En-bloc-Vereinigung zur deutschen Kunstakademie

Liebe Freunde von Bündnis90/

Grüne,

in der taz-Kultur vom Freitag, ganz unterm Strich, lese ich, Eure Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus habe „die von der Akademie der Künste West beschlossene En-bloc- Vereinigung mit der östlichen Akademie begrüßt ... die Fraktion werde der nun notwendigen Änderung des Akademie-Gesetzes ausdrücklich zustimmen...“ Wißt Ihr eigentlich, welchem Prinzip Ihr da Euren Parlamentssegen zu erteilen gedenkt? Seit wann kämpft Ihr für den Renommeeschuppen von Kurt Hager?

Im Januar 1988 — es ist eine Zeit, da die Staatsgewalt unter den Bürgerrechtlern aufräumt und einige von uns in der U-Haft Hohenschönhausen sitzen — wendet sich die Akademie der darstellenden Künste Frankfurt/Main mit einem Telegramm an die Akademie der Künste der DDR: „Künstler“, so schreibt der Theaterregisseur Jürgen Flimm, „die ihren Protest formulieren, brauchen unsere Solidarität, unsere Unterstützung. Bitte, helfen Sie.“

Brief im Brief

Und was antwortet Manfred Wekwerth — Chef dieser DDR-Akademie — dem Hamburger Regisseur in einem Brief vom 8.Februar 1988?

„...Eine Gruppe von etwa 30 Personen hat eine gezielte und vom ZDF unterstützte öffentliche Aktion unternommen und mußte nach dem geltenden Gesetz der DDR mit den eingeleiteten Maßnahmen einer zeitweiligen Festnahme rechnen und rechnete auch damit... Ich kann bei dieser Aktion weder einen konkreten Anlaß zum Protest ... noch eine geeignete Methode, ihn durchzusetzen, sehen, da in der DDR, allen sichtbar, gerade jetzt eine große Dialogbereitschaft besteht und auch von der Akademie der Künste der DDR praktiziert wird. Denn wogegen sollte da konkret protestiert werden? Wenn es wirklich begründete Einwände gegen Fehlentscheidungen oder manchmal auch Dummheit gibt, dann gibt es sie — wie Sie wissen — sehr wirksam von Leuten, die in der DDR leben und sich um die DDR bemühen. Stellvertretend für andere nenne ich hier Stephan Hermlin. Was ist also mit der Forderung dieser Gruppen nach größerer Friedensbereitschaft? Die offiziellen Friedensbemühungen und Resultate der Sowjetunion und der DDR übertreffen bei weitem alles, was von diesen Gruppen bisher, auch in Kirchen, gefordert wurde.

...Ich kann mir nicht helfen: diese Aktionen überheizter Proteste sind nach der Dialog- und Entspannungspolitik der letzten Zeit schwer zu verstehen, auch daß sie in so überrumpelnder Weise auf der Straße vorgetragen werden, als wären Gespräche mit Politikern oder mit uns unmöglich... Ich werde den Verdacht nicht los, daß es gerade diese Dialogbereitschaft von uns und auch von Ihrer Seite ist, wenn Sie wollen, auch die Reformfähigkeit, wie es in der Übereinkunft zwischen der SED und der SPD heißt, die irgend jemandem überhaupt nicht in den Kram paßt. Da die Dialogbereitschaft viele Sympathien der Leute nicht nur bei uns, sondern auch bei Ihnen hat, ist sie direkt nicht angreifbar. Da braucht es schon Methoden, die sich im Kalten Krieg bewährt haben... Wie dem auch sei, wir bleiben bei unserer Ansicht, die Stephan Hermlin einmal so formulierte: Die Souveränität eines Standpunktes besteht auch in dem Erfragen und Ertragen der anderen Meinung, wenn es wirkliche Meinung ist und nicht Gehässigkeit. Rechthaberei sollte, wenn sie auftritt, durch den vernünftigen Wettbewerb der Meinungen ersetzt werden. Meinethalben mit Glockengeläut und Mahnwachen. Aber vor allem durch den Dialog. Mit freundlichen Grüßen, Manfred Wekwerth.“

Soweit der Zynismus Hermlins und das Dialogangebot Wekwerths — Akademiepräsident und ZK- Mitglied in Personalunion (der vollständige Brief liegt übrigens der taz vor). Wie das „Erfragen und Ertragen“ anderer Meinungen aussah, muß nicht erinnert werden, nicht die Dialogbereitschaft von Wekwerths Zentralkomitee — es war ein Dialog, bei dem die Antwort auf andere Meinungen vom Stasi-Apparat kam. Ein Dialog, begleitet vom betuchten Schweigen der in der Akademie der Künste versammelten Nationalpreisträger.

Und nun wollt ihr also mit einer „ganz selbstverständlichen“ Gesetzesänderung diesen um ein paar Ahnungslose bereicherten Laden über die Hürde hieven, samt seinem Chef! (Hermlin muß übrigens nur noch ein bißchen gehievt werden, der adelte schon zu DDR-Zeiten auch die West- Akademie).

Ich frage mich, von welchem Gedächtnisschwund seid Ihr befallen? Habt Ihr die eingetretenen Bilder von Igor Tatschke vergessen, den Überfall auf die Umweltbibliothek, die beschlagnahmten Manuskripte, Ausstellungs- und Publikationsverbote? Vergessen, was mit Sibylle Schönemann oder Sieghard Pohl geschah? (Oder hört ihr gar deren Namen zum ersten Mal?) Der Maler Sieghard Pohl sitzt heute vor seiner Strafakte und starrt auf die Fotos seiner Bilder, die ihm von der Staatssicherheit zerstört wurden. So ordentlich waren sie ja immerhin: sie haben die Bilder zerstört, die Fotos davon aber sorgfältig abgeheftet.

Was, Freunde, braucht es, daß Ihr zur Besinnung kommt? Soll ich Euch all die Künstler und Literaten auflisten, die in 40 Jahren DDR totgeschwiegen, an den Rand der Existenz, aus dem Land getrieben wurden? Vor denen sich Verlagstore, hinter denen sich Gefängnistore schlossen? Eines dürfte schon jetzt sicher sein: Ihre Zahl übersteigt um ein Vielfaches die Zahl jener, die ihr akademisches Wohlleben mit Staatslob und Schweigen erkauften.

Nein, die Akademie war nicht der Repressionsapparat — sie war die Tünche des Repressionsapparates. Mit Eurem Votum für ihre Übernahme als Gesamtpaket stimmt Ihr für ein hochkarätiges Vergessen. Verhöhnt Ihr alle Kritiker und Opfer der DDR-Kulturpolitik, verhöhnt Ihr schließlich auch Euch selbst und das, wofür Ihr gestanden habt.

Ich lese, Eure Fraktion „bedauert den Austritt von Günther Kunert, György Ligeti und Reiner Kunze aus der West-Akademie“. Beiseite einmal die mir fremde Akademiegläubigkeit — aus welcher Parteikiste stammt eigentlich dieser kalte Beamtensatz? Und mit welcher Leichtigkeit geht Ihr über die Verletzungen hinweg, die diesen Austritten zugrunde liegen? Zu bedauern wäre doch wohl höchstens, daß sie dieser Akademie nicht schon den Rücken gekehrt haben, als die Salman Rushdie so erbärmlich im Stich ließ!

Hochkarätiges Vergessen

Haltet inne, Freunde, bevor es zu spät ist. Ich weiß ja: Kultur saß immer schon als Stiefkind am Bürgerrechtstisch — und selten genug verirrte sich Euer Blick vom Positionspapier mit seiner qualvollen dürren Sprache auf ein gutes Gedicht, ein Bild. Damals war es jedes Einzelnen Sache, heute nicht mehr. Denn heute verfügt Ihr über Macht — leider auch über die Macht, etwas unkorrigierbar Falsches zu tun.

Bei dieser En-bloc-Übernahme geht es doch nicht um die Rettung östlicher Identität (wo war die weniger zu finden als unter den Medaillenträgern der Akademie!), nicht um den Oda-Tanz von Gret Palucca, den blechernen Schrei von Georg Katzer. Es geht hier um nichts Geringeres als einen geschmeidigen Kollektivsprung ins Vergessen. Um die En-bloc- Beerdigung einer über Jahrzehnte zurechtgestutzten Kultur ..., ohne daß deren Mitverantwortliche auch nur einmal Rede und Antwort standen. Um eine Akademie immerhin, in der jede einzelne Mitgliedschaft den Segen Kurt Hagers voraussetzte. Um ihren Chef Manfred Wekwerth, mitsamt seinen Seilschaften.

Ich bitte Euch: Denkt auch an jene begabten DDR-Kinder, die — weil sie zu früh nicht funktionierten — erst gar nicht zu einem Studium zugelassen wurden...

Freunde, werdet nicht über Nacht zur SPD, nicht zur PDS! Freya Klier

Schriftstellerin, im Januar 1988 aus der DDR zwangsausgebürgert; am 13.2. veröffentlichte die taz in der Kultur einen offenen Brief Ralf Giordanos an Walter Jens, der ebenfalls die En- bloc-Vereinigung und kritisiert