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Wer kann das bezahlen, wer hat soviel Geld?

Die Weltbank verlangt 1,5 Billionen Dollar zum Umbau aller Planwirtschaften: eine Rechnung, die nur unseriös sein kann  ■ Von Donata Riedel

Der Zusammenbruch des Kommunismus gilt allgemein als Sieg des überlegenen Systems Kapitalismus. Jetzt komme es nur darauf an, die kaputten Planwirtschaften ganz schnell in marktwirtschaftliche Systeme zu überführen, predigen die Regierungen der Industrieländer. Das darf sogar etwas kosten; andernfalls könnten ja Flüchtlingsfluten das EG-europäische Haus überschwemmen.

Doch wieviel Geld wird der Umbau der osteuropäischen Volkswirtschaften tatsächlich kosten? Mit 120 Milliarden Dollar wären die Republiken der Ex-Sowjetunion saniert, behauptete Harvard-Professor Jeffrey Sachs um die Weihnachtszeit. Studien der Weltbank jonglierten hingegen zu Jahresbeginn mit 1,5 Billionen Dollar für sämtliche Sowjet- und -satellitenstaaten der Welt. Diese Summe, verteilt auf fünf Jahre, sei das absolute Minimum, um Hungersnöte (plus Kriege, plus Völkerwanderungen) zu verhindern.

Bundesdeutsche Wirtschaftswissenschaftler weigern sich inzwischen kategorisch, derartige Zahlenspiele im Tausende-von-Milliarden- Bereich mitzumachen.

„Man kommt einfach viel zu schnell auf viel zuviele Nullen“

findet Ulrich Weißenburger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Derartige Geldbeträge könne sich ohnehin niemand mehr vorstellen. Sicher sind sich die Volkswirte nur in einem, so Franz Lothar Altmann vom Südosteuropäischen Institut in München: „Kurze Übergänge sind eine Illusion.“ Denn alle Anfangsprognosen über die DDR, über Polen, Ungarn, die CSFR haben sich bislang bei jedem Land nach und nach als viel zu optimistisch herausgestellt.

Für die berühmte „Schaffung gleicher Lebensverhältnisse“ in Deutschland (bei deren Beschwörung selbst dem deutschen Bundeskanzler neulich in der Treuhandanstalt ein „einigermaßen“ dazwischenrutschte) rechnen die Experten vom DIW heute mit 20 Jahren, sofern die Wirtschaft dort mit durchschnittlich sieben Prozent pro Jahr wächst. 1991 wurden aus den alten Bundesländern runde 150 Milliarden Mark nach Ostdeutschland überwiesen; jeweils dreistellige DM-Milliardenbeträge werden es aller Voraussicht nach auch in diesem und den folgenden Jahren sein. Immerhin: Für die Ex-DDR lassen sich Kostenmodelle für die Anpassung der Wirtschaft inzwischen ausrechnen: Man weiß, mit welchen Preisen und in welcher Währung zu rechnen ist. Und man weiß, welcher Lebensstandard das Ziel ist, wie viele Treuhand- Firmen noch zu privatisieren sind und wie viele Menschen dabei ihren Job verlieren werden. Leider ist ebenfalls klar, daß die Industrie der alten Bundesrepublik die 16 Millionen NeubürgerInnen ohne Kapazitätsengpässe mitversorgen könnte — weshalb man dort nicht unbedingt eine eigene Industrie bräuchte, sodaß am Ende des Prozesses bestenfalls noch jeder zweite Arbeitsplatz in diesem Sektor vorhanden sein wird.

Anders auf dem Gebiet der Ex- UdSSR, wo 287 Millionen Menschen leben: Dort wird es immer eine eigene Industrie geben müssen. Im Gegensatz zum Sonderfall Ex-DDR weiß allerdings niemand genau, welches denn die Grunddaten der Transformationskostenrechnung für die GUS-Republiken sein könnten. Welcher Lebensstandard für welche Bevölkerungskreise in welcher Zeit könnte als das zumutbare Minimum gelten? Wäre dieses für Russen, Ukrainer, Kasachen oder andere Völker gleich? Konkreter: Muß es der westdeutsche Durchschnittsverdiener-Standard für alle sein, oder reicht möglicherweise der irische oder gar ein mittlerer lateinamerikanischer? Welche sozialen Kosten (Arbeitslosigkeit, Verarmung) nimmt man für eine wie lange Zeit des Übergangs in Kauf? Ist das polnische Modell der Schocktherapie à la Jeffrey Sachs, das (zunächst?) zur Armut der meisten und einigen wenigen Neureichen geführt hat, auf die GUS übertragbar? Oder würde es dort zu Volksaufständen führen? Optimisten könnten auch behaupten, daß jeder der GUS-Staaten möglicherweise schnell ein funktionierendes nationales Finanzsystem aufbauen könnte, wodurch sich ein Netz bilateraler Handelsbeziehungen untereinander entwickeln könnte (wodurch Westhilfsgelder schnell überflüssig würden).

Der Reichtum bleibt da, wo er ist — im Westen

Gerade in den GUS-Staaten ist relativ unklar, wie die wirtschaftliche Situation jeweils tatsächlich aussieht: sicherlich schlecht — aber wie schlecht? 1991 ging die Wirtschaftsleistung dort um 13 Prozent zurück, die Preise stiegen (vor der Freigabe!) um 300 Prozent. Jetzt werden die Preise zwar nicht mehr regierungsamtlich festgesetzt, dafür aber von den staatlichen Monopolbetrieben kontrolliert, für deren Privatisierung noch kein Plan existiert. Deshalb warnte sogar Jelzins ökonomischer Berater Grigori Jawlinski vor zwei Wochen den Westen, derzeit Geld an die russische Regierung zu geben. Mitentscheidend für jede Kostenrechnung ist auch die Frage der Privatisierung — welche Betriebe und wie viele gehen ab wann in welchem Zeitraum an wen (Investoren? Kleinaktionäre?) —, doch kaum einmal tauchen darüber seriöse Zahlen auf.Was bei derartigen Rechnungen herauskäme, wird allerdings auch schon deutlich, ohne daß man genaue Zahlen einsetzen muß: zuviel. Zuviel? Wieviel könnten denn alle reichen Industriestaaten zusammen in welchem Zeitraum entbehren, ohne die eigenen Volkswirtschaften zu lähmen und ohne die eigenen Kapitalmärkte zu sehr zu belasten? Schon das deutsche Haushaltsdefizit (und die deshalb hohen Zinsen) wirkt in ganz EG-Europa kapitalverteuernd und damit konjunkturbremsend.

Welchen Nutzen haben denn nun derartige Rechenspiele? Zusammen mit völlig unrealistischen, weil viel zu kurzen Zeitrechnungen suggerieren solche Summen den OsteuropäerInnen zweierlei: Wir können alle Probleme berechnen, haben die Lage vollständig durchschaut und dadurch im Griff. Nur leider sind die Kosten so hoch, daß auch wir, die reichen Industriestaaten, gar nicht helfen können. Das System Kapitalismus hat seine Überlegenheit einmal mehr unter Beweis gestellt — und der Reichtum bleibt, wo er ist.

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