: Wer entfacht das Feuer des Prometheus?
Die internationale Kernfusionsgemeinde will eine neues Milliardenprojekt starten/ Um den Standort für einen „Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktor“ bewerben sich das Karlsruher Kernforschungszentrum und das AKW Greifswald ■ Von Dieter Balle
Anfang November vergangenen Jahres ließ ein Experiment im europäischen Kernfusions-Forschungszentrum Culham die Fusionsforscher weltweit jubeln. Nach dreißigjähriger Forschung war es erstmals geglückt, eine kontrollierte Kernfusion eines Gasgemischs aus 1,2 Gramm Deuterium und 0,2 Gramm Tritium in die Wege zu leiten, bei der zwei Sekunden lang zwei Megawatt Energie freigesetzt wurden. In einem 200 Millionen Grad Celsius heißen, von supraleitenden Magneten gehaltenen Plasma verschmolzen die beiden leichten Wasserstoffisotope zu Helium.
Dabei wurden energieträchtige Neutronen freigesetzt, deren Wärme theoretisch zur Stromproduktion verwendet werden kann. Das Prinzip ist der Sonne abgeschaut, wo bei wesentlich geringeren Temperaturen von etwa 15 Millionen Grad Celsius ebenfalls Wasserstoffatome zu Heliumkernen unter enormer Wärmeentwicklung fusionieren.
Mit dem Motivationswind des englischen JET-Erfolgs (Joint European Torus) im Rücken will nun die internationale Kernfusionsgemeinde ein neues Projekt starten: „Internationaler Thermonuklearer Experimentalreaktor“, kurz ITER, heißt das als Testreaktor konzipierte Folgeprojekt, das ab 1997 gebaut werden soll. Hierbei wollen die Fusionsforscher erstmals mit radioaktivem Tritium und dem bereits erprobten Deuterium im Verhältnis von 1:1Leistungen im Gigawattbereich erzielen, wie der Leiter des Projektbereichs Kernfusion beim Karlsruher Kernforschungszentrum, Jörg Vetter, betont. Während für das JET-Projekt noch mehrere hundert Megawatt Energie zum Aufheizen des Plasmas zugeführt werden mußten, um magere zwei Megawatt zu erzeugen, soll endlich eine positive Energiebilanz zustande kommen.
Vetter veranschlagt für das auf zwanzig Jahre ausgelegte Projekt Gesamtkosten von rund 10 Milliarden US-Dollar, etwa 16 Milliarden DM. 1.200 Beschäftigte werden in der räumlich einem Atomkraftwerk vergleichbaren Anlage tätig sein.
Wo das Fusionsfeuer des Prometheus letztendlich entfacht werden soll, ist noch völlig offen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist zu den Staaten der europäischen Gemeinschaft, Japan und den USA noch Rußland als Vertragspartner gestoßen, so daß sich erstmals weltweit alle fusionsforschenden Staaten in einem Kooperationsprojekt zusammengeschlossen haben.
Für die Bundesrepublik haben sich das Karlsruher Kernforschungszentrum (KfK) und das AKW Greifswald als Sitz des ITER-Reaktors beworben. Eine vom Bundesforschungsministerium (BMFT) eingesetzte Bewertungskommission hat kürzlich beide Standorte unter die Lupe genommen und wird innerhalb der nächsten zwei Monate eine Empfehlung aussprechen. Karlsruhe rechnet sich Vorteile aus, da hier laut Projektleiter Vetter bereits 20 Prozent der Kapazitäten, etwa 800 Beschäftigte, in der Fusionsforschung tätig sind, bei einem Jahresetat von 70 Millionen DM.
Eine „gigantische Fehlinvestion“
Das BMFT unterstützt die deutsche Bewerbung und fördert sie nach Kräften. Der Referatsleiter der Kernfusion im Bundesforschungsministerium, Siegfried von Krosigk, geht ebenso wie sein Chef, Minister Heinz Riesenhuber, davon aus, daß die Kernfusion Mitte des nächsten Jahrhunderts neben der Solartechnik auf Wasserstoffbasis und der Schnell-Brüter-Technologie (!) eine der „drei Hauptsäulen der Energieversorgung“ sein wird. Bereits heute läßt das BMFT den drei in der deutschen Fusionsforschung tätigen Instituten — Max-Planck-Institut für Plasmaphysik München/Garching, Kernforschungsanlage Jülich und Kernforschungszentrum Karlsruhe — etwa 200 Millionen DM zukommen. Gemeinsam mit Landes-und EG-Mitteln summiert sich das, laut Krosigk, auf stolze 300 Millionen DM im Jahr, von dem zu erwartenden Milliardenanteil an ITER einmal ganz abgesehen.
Neben den Deutschen und den Japanern bewerben sich unter anderem auch die Franzosen um den Zuschlag für ITER, aber wer letztendlich das Rennen machen wird, soll bis 1994 entschieden werden. Die deutsche Seite hofft nach dem Verzicht auf einen hiesigen Standort für den Euro- Brüter zugunsten Frankreichs auf ein Entgegenkommen der Pariser Regierung im Fusionspoker.
Inzwischen melden sich hierzulande langsam kritische Stimmen zu den hochfliegenden Plänen aus dem Hause Riesenhuber. Sie befürchten gravierende Umweltprobleme vor allem durch die bei der Fusion entstehende Neutronenstrahlung, die binnen kürzester Zeit den gesamten Reaktor radioaktiv induziert und einen immensen Verschleiß am Strukturmaterial hervorruft; dadurch müßten bei einer kommerziellen Nutzung wesentliche radioaktive Teile der Anlage mehrmals innerhalb der Lebenszeit eines Fusionsreaktors ausgetauscht werden, was nur mit Robotern bewerkstelligt werden könnte. Der radioaktive Abfallberg eines Fusionsreaktors wäre demnach ein Mehrfaches eines herkömmlichen Spaltreaktors. Darüber hinaus verursacht das radioaktive Wasserstoff- Isotop Tritium, so Projektleiter Vetter vom KfK, noch eine „Menge ungelöster Probleme“, weil es bei hohen Temperaturen durch Metall „hindurchdiffundiert“. Der menschliche Körper lagert es anstelle des normalen Wassers im Organismus ein, wo es Krebs auslösen kann.
Bisher haben lediglich das Bündnis 90 und die Grünen den Fusionsplänen eine klare Absage erteilt, während sich die SPD skeptisch äußert, „ob die Kernfusion jemals eine reale Möglichkeit zu Energieversorgung“ sein werde, so jedenfalls der forschungspolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Josef Vosen, in der Zeitung 'StromThemen‘. Für Klaus Dieter Feige, Bundestagsabgeordneter vom Bündnis 90/ Grüne, sind die Fusionsmilliarden eine „vorprogrammierte gigantische Fehlinvestition“. Statt die Fusionsprozesse der Sonne auf der Erde nachzumachen, so der Abgeordnete, sollte man lieber „die vorhandene Sonnenstrahlung anzapfen und energetisch nutzen“.
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