PRESS-SCHLAG: Ach, Olympia, bist so gaga!
■ Streifzug durchs Irrenhaus Albertville (Teil 1)
Diese Winterspiele von Albertville sind ein Wunder, die Ossis holen die Medaillen, die Wessis stellen bei der Deutschen Olympischen Reisegruppe (DOR) vornehmlich die Funktionäre, und alle zusammen und auch die zu Hause freuen sich. Irgendwie. Und irgendwer muß irgendwas berichten, will sagen: In diversen savoyardischen Dörfern sitzen Reporter und Journalisten und Redakteure und Publizisten — und schreiben. An vorderster Linie die Agenturen 'dpa‘ und 'sid‘. Dutzende von Menschen schwärmen täglich aus an die Hänge und Pisten, Hallen und Stadien — und kommen ins Schwärmen.
Bei der Eröffnungsfeier etwa trug Michele Platini die Fackel mit dem Olympischen Feuer, nicht deshalb, weil Frankreich sich für die Fußball-WM 1998 bewirbt und ein heimischer Star weltweit im TV ganz gut kommt, sondern der Kicker „setzte damit einen markanten Meilenstein auf dem Weg der Olympischen Bewegung ins Jahr 2000“ ('sid‘).
Ach ja, die Dinge sind in Bewegung, und das sah auch der NOK-Pressesprecher Neureuther so, ganz medaillenmäßig: „Wenn wir gleich ins richtige Fahrwasser kommen, gibt es eine Lawinenwirkung“, und dann wird diese H2O-Lawine außer den üblichen Unschuldigen auch ein paar Dummbeutel erwischen: So tät' sie einen guten Zweck.
Indes wir darauf warten, wird in den Schreibstuben eifrig gedichtet, fallen die üblichen „Überflieger“ ('sid‘) von den Schanzen, wird „nach Gold gegriffen“ und doch „nur Blech“ geholt vom „undankbaren vierten Platz“, auf dem auch der Wasi einkam: „Drei Jahre taumelte Markus Wasmeier jenseits von Gut und Böse, bewegte sich im Niemandsland zwischen geplatzten Goldträumen und dem endgültigen Sturz in die Bedeutungslosigkeit.“ Im Zwiespalt der Gefühle erkannte „der vom Schicksal geprügelte...“ ('sid‘), daß Knüppelschläge manchmal weniger wehtun als Gedrucktes. Ja, Weia.
Herrn Samaranch geht's da besser. Bei dem sieht Karl-Adolf Scherer ('sid‘) „im knallhart gewordenen olympischen Geschäft die eigenen Ambitionen warm gebettet“, was nicht weiter verwunderlich ist bei einem mit „bescheidenen Lebensansprüchen“, der sich sein Treiben jährlich mit 1.000.000 Mäusen vergüten läßt. Wer schaut da noch durch? Vielleicht „Jens Weißflog, der Erzgebirgsadler mit Weitblick“ ('sid‘)? Oder Fritz Fischer, Behles Wachser, dieser „mit allen Wassern gewaschene schlaue Fuchs“ ('sid‘), dem keiner so schnell ein X für ein U vormacht und der sich niemals nicht über den Löffel barbieren läßt? Bestimmt, der ganz bestimmt.
Derweil „springen die Funken über“ ('dpa‘) bei diesen Winterspielen, und „das Stimmungsbarometer schlägt aus“ (dito), und wir setzen uns schon mal mit einer Ritterrüstung in die Badewanne, auf daß die Funken uns nicht den Kittel anbrennen und das Barometer nicht allzu gräßlich Wunden machen tut (Michale läßt schon das Wasser ein).
Aber so ist das, die Katastrophen treffen einen zuhauf, weil: „Stasi- Lawine erreicht Albertville“ ('dpa‘), und wir dachten schon, Wolf Biermann käme zum Bretteln, aber nein, es war der Bobfahrer Czudaj, ein IM. Der gestand sein IMeln im Brief an den Präsidenten Kotter, welcher das Papier zunächst tunlichst veschwieg und dafür das Beichtgeheimnis hervorkramte, kurz: Alles war arg wirr. „Selbst NOK-Chef Willi Daume tappte im dunkeln, erklärte aber: „Herr Kotter hat mein vollstes Vertrauen.“ Da knipsen wir doch einfach das Licht an, damit der tattrige Herr Daume wenigstens nach Hause findet.
Aus Albertville MORGEN MEHR. Franzl Bär
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