: Das Gestern im Kaff der Zukunft
Im südafrikanischen Städtchen Potchefstroom siegte das Gruselkabinett des alten Südafrika gegen den Fortschritt: Nach der Niederlage von de Klerks Kandidat stürzt die Regierung in eine tiefe Krise ■ Aus Potchefstroom Tim Murphy
Die schwarzen Jugendlichen, die das Treiben mit einigem Sicherheitsabstand beobachten, sind auf der Hut. Das Wahllokal inmitten der städtischen Grünanlage ist weißes Terrain. Ihre Erfahrung lehrt, daß es ungesund ist, sich noch näher heranzuwagen. „Die schlagen uns“, sagt einer. Andererseits ist es spannend, der Hektik zuzuschauen, die sich rund um den reservierten Bankettsaal abspielt. Eine Nachwahl zum weißen Parlament, notwendig geworden durch den Tod des Abgeordneten der National Party (NP). „Das ist ihre letzte Wahl“, kommentiert ein älterer Schwarzer und lächelt.
Ein junges weißes Pärchen kommt heran, trennt die NP-Aufkleber vom Hemd und gibt sie an die begierigen schwarzen Kids weiter. Nun prangt auf deren Brust das absurde Bekenntnis: „Ich habe NP gewählt.“ Ein BMW braust vorbei, die weißen Kinder auf dem Rücksitz brüllen den Schwarzen durchs offene Fenster in breitem Afrikaans „Kaa- Pie“ zu. KP ist das Kürzel der Konserwatiewe Party, jener rechtsradikalen Organisation, die „FW“, Staatspräsident Frederik Willem de Klerk heute beweisen will, daß er längst kein weißes Mandat für seine Reformpolitik mehr hat. Ein Showdown unter Buren, den Politiker beider Seiten zur großen Testwahl hochstilisiert haben.
Potchefstroom, das sich mit bunten Glühbirnen über der Hauptstraße als „Zukunftsstadt“ vorstellt, ist die älteste Buren-Siedlung in der Provinz Transvaal. De Klerk hat hier studiert. Die Stadt ist zugeklebt mit Plakaten der KP wie diesem: „Gemeinsam gegen den ANC“. An den Laternenpfählen hat die KP als empörendsten Beweis für den Verrat der „Nats“ eine vergrößerte Zeitungsschlagzeile aufgehängt, die de Klerk zitiert: „Ich würde unter Mandela dienen.“ Die Parolen der NP dagegen sind defensiv. Sie habe Sanktionen abgebaut und die Polizei verstärkt, argumentieren ihre Plakate etwas zusammenhanglos. Die Ultrarechten und die Ultralinken seien „Bettgenossen“, die gemeinsam CODESA, die Konferenz für ein demokratisches Südafrika, boykottierten. Ein Flugzeug fliegt den Namen des NP-Kandidaten kreuz und quer über den bewölkten Himmel von Potchefstroom. Die Nats mögen den Luftraum kontrollieren. Am Boden herrschen die KP und ihre rechtsradikalen Freunde. Drei schwarze Zuschauer werden von der weißen Meute, die zu Hunderten aufgelaufen ist, langsam auf Theuns Krüger, den Kandidaten der NP, zugeschoben. Der schüttelt ihnen die Hand und sagt „Guten Tag“ und dann etwas gezwungen: „Südafrika für alle“. Die Masse der KP-Anhänger grölt, einige spucken aus. Plötzlich riecht es nach Lynchjustiz. Ein wackerer NP-Anhänger hält ein De- Klerk-Poster hoch, der Mob kreischt vor Ekel. Polizisten der „Riot Unit“ bilden Ketten. Gezielt werden nur weiße Beamte eingesetzt, die schwarzen verharren wohlweislich außer Sichtweite der Rechtsradikalen. Andries Beyers, der grauhaarige KP-Kandidat, geht schließlich dazwischen und beruhigt seine schäumenden Fans.
Die südafrikanischen Wahlbräuche geben dem Ereignis noch zusätzliche Dramatik. Der Wähler tut schon dadurch, auf welcher Seite des Parkplatzes er hält, seine Sympathien kund. Er schreitet von Osten (KP) oder Westen (NP), angefeuert von Hunderten Zuschauern, auf den Wahlsaal zu. Aus dem Spalier stürzen Dutzende Wahlhelfer hervor, zupfen ihnen am Ärmel wie Hitchcocks Vögel und bringen ihre Beute schließlich in einen Vorraum, wo die Kandidaten stehen und um die Wette lächeln. Links die KP, modern mit Computern, rechts die NP mit Karteikärtchen im Schuhkarton. Erst wenige Schritte vor der Urne endet dieser Spießrutenlauf.
Draußen ist Volksfest. Die Knollnasen von der Farm, aber auch viel Jungvolk mit Trend-Frisuren sind da. Die Hälfte trägt Khaki, auch ein kleiner blonder Steppke, der schon den burischen Freiheitskampf übt, indem er mit seiner Plastik-MG in alle Himmelsrichtungen feuert. Andere tragen Blau-Gelb, die Farben der KP. Die Rechten sind aus dem ganzen Land gekommen, um hier in Potchefstroom ihr Zeichen zu setzen. „Wir bestehen auf unserem Erbrecht: Südafrika muß unter weißer Herrschaft bleiben“, sagt ein alter Herr. „Wir wollen unser zivilisiertes Niveau behalten“, ergänzt eine aufgetakelte Dame.
Es ist der Aufmarsch der Antitypen. Besoffene singen „Nkosi Sikel i Afrika“, die Hymne des ANC, und finden das brüllend komisch. An die tausend Afrikaner campen auf dem städtischen Rasen. Zur Feier des Tages hat man eine ganze Kuh geschlachtet, die auf einem großen Feuer rotiert. Auch rundrum dünsten viele kleine Grills Duftschwaden gebratenen Fleisches aus. Fleisch und Cola-Brandy, das ist die Diät der Rechtsradikalen. Daneben schwingen Pärchen das Tanzbein. Senioren stolpern, gebeugt von der Last der Orden an ihrer Brust, über die Grünfläche. Studenten der Afrikanischen Widerstandsbewegung (AWB) tragen lila Sweatshirts mit der Aufschrift „Für Gott, Volk und Vaterland“. „Wir sind stolz auf unsere Nation“, gellt eine KP-Aktivistin im wallenden blauen Kleid. „Als unsere Vorväter hier ankamen, liefen die Eingeborenen nackt rum und hatten noch nicht mal das Rad erfunden. Aber wir sind nicht gegen Schwarze“— „Sag ruhig Kaffirs“, ermuntert sie ihr Gatte —, „aber sie können dieses Land nicht regieren — und kein anderes.“ Die Dame trägt eine große Tafel vor sich her: „De Klerk hat kein Mandat, keinen Mut, keine Nation, kein Land.“ Ein dicker Kerl hält seine Botschaft daneben: „Südafrika ist unser.“
„Die machen nur Lärm“, sagt eine NP-Wahlhelferin, die die immense KP-Übermacht mit angemessenem Abstand beobachtet, und gibt eine gehässige Zusammenfassung weißer Wirklichkeit in Südafrika: „Die kümmern sich ja selbst nicht darum, was sie predigen. Sie haben alle schwarze Bedienstete, weil sie zu faul sind, ihre verdammte Hausarbeit selbst zu machen. Auf ihren Farmen kassieren sie staatliche Hilfen. Aber sie farmen nicht, sondern bezahlen damit all die Schwarzen, die für sie schuften. Unterdessen sitzen sie auf der Veranda und saufen.“
Am Abend, kurz vor Schluß, packt die KP-Helfer fanatisches Fieber. Allen vorbeifahrenden Autos werden die Poster der Rechten entgegengestreckt, jeder Wähler wird mit Grölen und Singen begrüßt. Als letzte Wählerin schieben die Wahlhelfer der KP eine alte dicke Omi im Rollstuhl ins Wahllokal. „Ich bin stolz auf sie“, sagt KP-Kandidat Beyers. „Das hier ist der erste Schritt ins neue Südafrika“, kontert sein NP- Gegner noch wenige Minuten vor Toresschluß. Um so erschrockener ist er über das Ergebnis: 7.606 Stimmen für ihn, 9.746 für den KP- Mann, und das in einem Wahlkreis, den die NP jahrzehntelang in der Tasche hatte. „Das werden sehr schwierige Zeiten für uns“, murmelt der geschlagene NP-Mann, während die tosende Masse drei Schritte vor ihm den Sieger auf die Schultern hieven. Sie brüllen stundenlang, beten gemeinsam und singen die Nationalhymne. Das Horrorkabinett des alten Südafrika. Junge Burschen zerbrechen gegen Mitternacht die letzten NP-Plakate. „Wir haben sie gepackt“, jubelt einer von ihnen.
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