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West-Berlin unter Stasi-Herrschaft

Bei der Gauck-Behörde wurde ein detaillierter Plan zur Arbeit der Staatssicherheit nach einer Übernahme West-Berlins entdeckt/ Festnahmen und Internierungen waren schon geplant  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

In Moskau machte sich das neue Denken breit, die Abrüstungsverhandlungen erreichten eine Hochphase — doch in der Hauptstadt Berlin (DDR) hielten die Machthaber eisern an den Konzeptionen des Kalten Krieges fest. Noch 1985 entwarfen die Generäle der Staatssicherheit detaillierte Pläne, wie der Westteil Berlins unter Kontrolle und Verwaltung der SED-Getreuen gebracht werden könnte. Dies wird durch Unterlagen der Staatssicherheit belegt, die im Zuge der Rekonstruktion der Stasi- Unterlagen aus der ehemaligen Berliner Berzirksverwaltung aufgefunden wurden.

Unter dem Kürzel „B2“ legten die Stasi-Männer akribisch fest, wie die Westhälfte der Stadt in den Griff der Staatssicherheit gebracht werden könnte: Vorbereitet wurde die Internierung Oppositioneller, die Übernahme der Verwaltung und der Aufbau eines eigenen Stasi-Apparates. Eine führende Rolle war dabei der Berliner Bezirksverwaltung (BV Berlin) der Staatssicherheit zugedacht. Leiter der Bezirksverwaltung war 1985 der Generalleutnant Wolfgang Schwanitz. Nach dem Zusammenbruch der DDR hatte er die Aufgabe, den kurzlebigen Nachfolger des Mielke-Ministeriums, das „Amt für Nationale Sicherheit“, bis zu dessen Auflösung zu leiten. Einem von ihm unterzeichneten Dokument vom 5.9.1985 zufolge beschäftigte sich seine Einheit intensiv mit der Frage, wie eine Machtübernahme West- Berlins gesichert werden könnte. „Hauptaufgaben“ seiner Diensteinheiten waren — so die Stasi-Akten — die „Festnahme, Isolation bzw. Internierung der feindlichen Kräfte“ , „die Besetzung und Sicherung der bedeutsamen Zentren des Feindes“, die „Absicherung der Funktionstüchtigkeit aller lebenswichtiger Bereiche“ und — reichlich makaber — die „Unterstützung beim Aufbau demokratischer Organe“. Unter anderem sollte auch ein Fahndungssystem aufgebaut werden, „um untergetauchte Feindkräfte aufzuspüren und unschädlich zu machen“ — ein Schwerpunkt lag auch bei der Bekämpfung möglicher Oppositionsbewegungen. Im kruden Stasi- Deutsch hieß das die „Organisierung des politisch-operativen Kampfes gegen die zu erwartende Aktivierung der Feindtätigkeit“.

Während weltweit die Entspannung am Horizont aufzog, plante die Stasi-Bezirksverwaltung den „Einsatz vorhandener geeigneter IM aus West-Berlin und der Hauptstadt zur Aufklärung und zum Eindringen und Unschädlichmachen dieser Feindkräfte — Brechen des gegnerischen Widerstandes“.

Gründlich, wie die Stasi ihre Arbeit verrichtete, sollten auch kulturelle Güter geschützt, Zerstörungen und Plünderungen etwa bei Banken, Bibliotheken oder Museen unterbunden werden. Gedanken machten sich die Stasi-Obristen aber auch um den ungleich höheren Ausländeranteil in West-Berlin. „Differenzierte Erfassung des Ausländeranteils unter der Bevölkerung West-Berlins, Behandlung ihrer Probleme nach der politischen Situation und Lage.“ Welche Maßnahmen damit gemeint waren, ist aus den aufgefundenen Akten nicht ersichtlich.

Die Pläne der Bezirksverwaltung muten an wie Sandkastenspiele — sie waren es nicht. Sie stützen sich auf eine exakte Aufstellung der Bezirksabteilung XV (ein Ableger des Auslandsspionagedienstes von Markus Wolf) aus dem Jahr 1978, in der „bedeutsame Schwerpunkte in den Westberliner Stadtbezirken“ aufgelistet wurden. Die Übersicht liest sich wie ein komplettes Organigramm der Berliner Verwaltung. Aufgeschlüsselt nach Fläche und Einwohnerzahl werden darin vom Reichstag über Kircheninstitutionen und alliierten Dienststellen auch Infrastruktureinrichtungen, vom Wasserwerk in Beelitzhof bis hin zum Güterbahnhof Grunewald, in den einzelnen Bezirken aufgeführt.

Zur Stunde X sollten insgesamt 591 Stasi-Offiziere in den Westteil der Stadt abkommandiert werden. 12 Kreisdienststellen des MfS sollten aufgebaut und eine „Führungsgruppe im Operationsgebiet West- Berlin“ installiert werden. Vom Kraftfahrer über die Stenotypistinnen bis zum Leiter der Führungsggruppe war die Personalbesetzung bereits festgelegt. Stellvertretender Leiter der „territorialen Diensteinheiten“ sollte demnach Stasi-Oberst Heinz Erhard werden. Oberleutnant Edgar Hasse, zuletzt in der Abteilung beschäftigt, die mit dem „IM Czerny“ den späteren Ministerpräsidenten Lothar de Maizière als Mitarbeiter führte, war für die Bekämpfung des politischen Untergrundes vorgesehen. Leiter einer Kreisdienststelle Charlottenburg sollte der Major Kurt Zeiseweiß werden. Bei Auflösung der Stasi war er der stellvertretende Leiter der Berliner Bezirksverwaltung, zuständig für den Bereich „operativ“.

Die genaue Einbindung der geplanten Maßnahmen ist anhand der aufgefunden Akten nicht mehr nachvollziehbar. Möglicherweise waren sie — wie die organisatorisch vorbereitete Internierung Oppositioneller (Aktion „Schild“) — an die Ausrufung eines Spannungs- oder Ernstfalls gekoppelt. Weitere Unterlagen sind, wie die meisten der Unterlagen aus der „Hauptverwaltung Aufklärung“, im Zuge der Stasi-Auflösung vernichtet worden. Die gestern von der Gauck-Behörde vorgelegten Akten waren Anfang 1990 im Dienstzimmer des Leiters der Bezirksverwaltung sichergestellt und anschließend zwischengelagert worden. Bei der mühsamen Sichtung der Papierberge wurden sie vor etwa vier Wochen von Jürgen Tetzel, dem Leiter der Berliner Außenstelle der Gauck- Behörde, aufgefunden.

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