: Eins - zwei - Seitschritt
■ Josef Hader gastiert mit seinem »Bunten Abend« im Mehringhof-Theater
Eins - zwei - Seitschritt. Aus den Lautsprechern rieselt Foxtrott auf uns hernieder. Es ist dieser swingende Hugo-Strasser- Sound, den man seit den runden Geburtstagen der Eltern oder von den pubertären Tanzstundenzeiten her kennt, als sich das Leben in Wanne- Eikel abspielte und die häusliche Bürgerlichkeit noch ein Zustand, kein Schimpfwort war. Ein Klavier auf der Bühne, Lampions an der Decke und überall Blumenbuketts — natürlich aus Plastik: Ein Kessel Buntes im Mehringhof. Die, die wir zur Premiere von Josef Haders »Buntem Abend« gekommen sind, sind selbstverständlich klug und großstädterisch genug, dieses provinzielle Ambiente als Tarnung zu erkennen. Genüßlich lehnen wir uns zurück in der Erwartung, die nächsten Stunden in gewohnter Weise intellektuell berieselt zu werden. Kabarett, ist das schließlich nicht auch eine Form von »Eins-zwei-Seitschritt«? Und zunächst geht es auch nach allen Regeln des Foxtrotts los. Josef Hader mit den elastischen Beinen betritt die Bühne, — Pomade und Seidenhemd zitieren die dekorierte Blumenpracht — und gibt uns hier ein bischen Hammondorgel-Sound, da ein wenig »Kennen Sie den?«, und er spielt seine Rolle derart perfekt, daß wir uns noch ein wenig genüßlicher zurücklehnen müssen.
So geht es eine runde Viertelstunde, dann tritt der Schmierenkomödiant aus seiner Rolle, — na, endlich! — und zeigt uns die rückwärtige Seite eines tingelnden Heldenlebens. Ha, ha! Auch das — wir sind ja nicht doof! — ist wohlfeiles Kabarett. Und wenn das Wiener Würstchen auf der Bühne tausendmal »Cabaret« sagt, wir haben hier schon viel gesehen, uns macht keiner mehr etwas vor. Kabarett, das ist Eins-zwei-Seitschritt. Und wegen des Seitschrittes sind wir schließlich hier.
Als der Herr auf der Bühne aus seiner Rolle tritt und wahrhaftig wird, geht es um Plato, Sokrates und einen penetranten Rumgeruch. Das ist nur mäßig komisch und drunten im Publikum beginnen sich die ersten zu fragen, warum dieser Hader eigentlich den »Kleinkunstpreis 1991« bekommen hat. Dann passieren noch einige einkalkulierte unerwartete Ereignisse. Bauarbeiten stören das bunte Programm — so ist das auf den Bühnen in Wanne-Eikel —, der Herr dort oben ist nun endgültig sauer, zieht seine Glitzerjacke aus und geht ab. Skandal im Mehringhof?
Das Publikum bleibt gelassen. Ha, ha! Wir sind ja nicht doof, wen haben wir auf dieser Bühne nicht schon alles gehen und wiederkommen sehen. Man lehnt sich noch ein wenig genüßlicher zuück (wenn das auf den unbequemen Mehringhof-Stühlen überhaupt möglich ist), wartet ab. Und wirklich kommt da einer zurück, der dem Hader auffallend ähnlich sieht. Neue Nummer, neues Glück. Alles ist kalkuliert, darum sehen wir's ja so gerne. Der gibt uns nun den linken Biedermann aus Mainz. »Die Welt ist so schön und wert, daß wir sie verändern!« drängt es aus ihm heraus. Das wiederum finden wir nun wirklich nicht mehr komisch, denn platte »Müsli-Hatz« ist in der Metropole Berlin schon lange nicht mehr angesagt. »Warum der wohl den Kleinkunstpreis... ausgerechnet der?«
Jetzt könnte eigentlich die Pause kommen. Man hat da schließlich mit der Zeit ein Gefühl für. Besonders auf diesen harten Mehringhof-Stühlen. Aber die Pause kommt nicht, dafür macht sich schon wieder dieser frustrierte Schmierenkomödiant in Glitzer auf der Bühne breit. Viel fällt dem jetzt allerdings auch nicht mehr ein. Einmal aus der Rolle, immer aus der Rolle. »Pause!« ruft es vereinzelt aus dem Publikum. Scharren auf den Sitzen. Kaffe-Durst, Nikotin- Schmacht. Das Programm hat seinen Tiefpunkt erreicht. Mal sehen, wer nach der Pause noch da ist. »Ja, Pause oder Sokrates — ich weiß auch nicht« sagt der Hader ratlos auf der Bühne, geht dann ab, kommt aber wieder — die Leute stehen schon fast an der Theke — und holt aus zum »second take«. Nun geht es erst richtig los. Jetzt fällt der rollenkonforme Nonkonformist endgültig aus seiner Kabarett-Rolle und legt eine Vorstellung hin, wie sie weder der Mehringhof noch das Publikum bisher gesehen hat. Immer wieder wechelst er die Rollen, beackert uns bis an den Rand der Verzweiflung. Mittendrin stehen die Leute auf, gehen ihren prosaischen Lüsten nach — zahlt man etwa 17 DM Eintritt, allein um sich das Recht zu erwerben, in der Pause zu rauchen? Das Programm des Josef Hader, es ist ein risikoreiches Unterfangen. Dumpf hängt das Wort »Aufhören!« in der Luft, es kommt aber nicht. Die Leute beginnen sich einzumischen: »Du bist wie mein Chef, der kennt auch keine Pause!« meckert ein Typ in der ersten Reihe. Inzwischen ist es ein reges Kommen und Gehen. Die Stimmung bleibt unschlüssig, soll man den Hader nun grandios oder unmöglich finden? »Hat der nicht ... Kleinkunstpreis...?«
Natürlich ist er grandios! Wer schafft es heute noch, die unerwarteten Erwartungen eines auf alles gefaßten Publikums unerwartet zu unterlaufen? Wer wagt es heute noch, die Leute gegen sich aufzubringen? Stunk zu machen, ekelhaft zu sein, und seinen Ruf derart risikoreich aufs Kabarett-Spiel zu setzen? Am Ende sitzt der Hader im Dunkeln, selbst die Scheinwerfer entziehen ihm die lichte Solidarität. Besoffen, ausgepowert und zerzaust sitzt er am Klavier und singt — der Schweiß rinnt ihm ins Seidenhemd — »Irgendwann und irgendwie/ fallen wir vor nichts und niemand mehr aufs Knie«. Genau das ist es. Das ist der aufrechte Gang des Kabaretts. Anstrengend, aber grandios. Heute und morgen ist diese seltene Gangart noch im Mehringhof zu besichtigen. Selten genug. Klaudia Brunst
Josef Hader: »Ein Bunter Abend«. Sa. und So. um 21 Uhr im Mehringhof-Theater.
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