Honecker reist vorerst nicht nach Chile

■ Aylwins Vorstoß, den kranken Ex-DDR-Chef „aus humanitären Gründen“ aufzunehmen, scheiterte an einmütiger Haltung von Bonn und Moskau/ Rücküberstellungsanspruch der BRD gilt weiter

Bonn/Santiago (afp/taz) — Bonn und Moskau sind sich inzwischen einig. Der ehemalige DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker darf in dem Moskauer Botkin-Hospital behandelt werden. Damit gehört der krebskranke Patient nach wie vor zu den Priviligierten. Die Oase im Moskauer Gesundheitswesen war nämlich in der Vergangenheit nur Ausländern aus „Kapstran“, kapitalistischen Ländern, vorbehalten. Auch heute ist es für die Mehrzahl der GUS-Bewohner so gut wie unmöglich, hier einen Bettplatz zu ergattern — es sei denn sie verfügen über Vitamin B und reichlich Devisen.

Der Vorstoß der chilenischen Regierung, Honecker „aus humanitären Gründen“ noch vor dem Krankenhausaufenthalt die Einreise nach Chile zu gestatten, ist unterdessen offenbar gescheitert. Chiles Präsident Patrico Aylwin sagte am Donnerstag, auf eine entsprechende Demarche der chilenischen Botschaft in Rußland und Deutschland habe es „keine positive Antwort“ gegeben. Die Regierung des Christdemokraten hatte als Bedingung für Honeckers Einreise ein gültiges Personalpapier der russischen Regierung, einen Flüchtlingsausweis oder schlicht eine Ausreisegenemigung verlangt.

Falls der 79jährige im Krankenhaus genesen sollte, müsse er anschließend in die BRD ausgeliefert werden, so lautet immer noch die Forderung der Bundesregierung. Im Klartext, so Regierungssprecher Vogel gestern: „Der Rücküberstellungsanspruch der Bundesregierung darf nicht vereitelt werden.“ Denn noch immer liegt gegen Honecker ein deutscher Haftbefehl wegen der Todesschüsse an der ehemaligen DDR-Mauer vor. Um der Verhaftung zu entgehen, war der ehemalige SED-Chef im Dezember vor einer drohenden Ausweisung durch die russische Regierung in die Residenz des chilenischen Botschafters in Moskau geflüchtet.

In den Wochen danach war immer wieder ausführlich über die Krankengeschichte des früheren DDR- Staatschefs berichtet worden. Befindet er sich wirklich im letzten Stadium einer Krebserkrankung oder ist er im Grunde nur ein rüstiger Rentner mit Wehwehchen, wie es die Bonner Regierung unterstellt? Schließlich pendelte sich die chilenische öffentliche Meinung darauf ein, daß er ein alter kranker Mann sei, dem man medizininische Behandlung nicht verwehren solle. Außerdem: Honeckers Tochter Sonja ist mit einem chilenischen KP-Funktionär verheiratet und lebt seit einigen Jahren im Andenstaat. Dem Druck der Familie und der Partei ist es zu verdanken, daß die Regierung ihre ablehnende Meinung geändert hat.

Im Oktober des vergangenen Jahres hatte Helmut Kohl anläßlich seines Staatsbesuches klargestellt, wie wichtig Bonn ein Prozeß gegen Honecker ist, und sein Freund Aylwin hatte sich festlegen lassen. Mehrfach verkündete er öffentlich, daß es für den Gesuchten „ohne gültigen deutschen Paß“ keine Einreise gäbe. Das war wohl voreilig. Mehrere sozialistische Politiker erinnerten daran, daß ihnen während der Diktatur in der DDR großzügige Gastfreundschaft gewährt worden war: Clodomiro Almeyda, heute Botschafter in Moskau, Senator Ricardo Nunez und der frühere Sozialisten-Chef Carlos Altamirano.

Aber auch die rechten Parteien, die Unabhängige Demokratische Union (UDI) und die Nationale Erneuerung (RN), setzten sich für „den alten Mann“ ein. Vehementester Honecker-Fürsprecher wurde Sergio Onofre Jarpa, ein früherer Innenminister Pinochets. Kein Land, und schon gar nicht Chile, dürfe seine politische Autonomie aufgeben und sich vorschreiben lassen, wem es Schutz vor Verfolgung biete oder medizinische Hilfe gewähre, argumentierte der RN-Chefideologe.

Was die rechten Politiker nicht aussprachen, aber im Hinterkopf bewegte: Sie rächten sich mit ihrer Haltung für Kohls Ansprache im Kongreß in Valparaiso, in der er im Oktober die Menschenrechtsverletzungen während des Militärregimes angeklagt hatte. Damals hatten etliche Abgeordnete von UDI und RN unter lautem Protest den Saal verlassen.

Wenn Honecker in Santiago eintrifft, dann hat er damit noch lange kein politisches Asyl erhalten. Falls Bonn einen Auslieferungsantrag stellt, entscheidet der Oberste Gerichtshof, da zwischen Chile und der Bundesrepublik kein Auslieferungsvertrag besteht. Doch die Mühlen der Corte Suprema mahlen langsam. Den rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens würde der 79jährige kaum erleben. Gaby Weber