: „Die Lage ist unterschiedlich beschissen“
■ Lehrergewerkschaft versuchte Widerstand gegen Sparpolitik zu planen
Donnerstag, 20.2.92, Haus des Sports. Der „Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) hat eingeladen, um Widerstand gegen die Sparpolitik der Ampelkoalition im Bildungsbereich zu organisieren. Rund 80 der ca. 5000 Bremer LehrerInnen haben sich vollversammelt und werden zu Beginn von Pit Spieß, Personalratsvorsitzender Schulen, über die einzelnen Sparpläne des Bremer Senats informiert: Die konsumtiven Ausgaben sollen von 104,580 auf 100,352 Millionen und die investiven Ausgaben von 49,241 auf 39,424 Millionen Mark reduziert werden, Stellenstreichungen, Reduzierung der Stundentafeln, Halbierung der Kleingruppenarbeit und vieles andere mehr sind in Planung. Pit Spieß versucht es von der humorvollen Seite: „Die Schüler sollen eben vom Leben lernen, nicht von der Schule.“. Und schließlich helfen zum Beispiel in Hamburg auch schon engagierte Eltern im Unterricht aus, gratis.
Entlassungen von Lehrern wird es in Bremen nicht geben, allerdings auch keine Neueinstellungen, und schon jetzt sind 4/5 der LehrerInnen über Vierzig. Jan Bücking, Landesvorstandssprecher der GEW, stellt die Forderung nach Neueinstellungen.
Eine Wortmeldung: „Widerstand und gemeinsame Aktionen sind wichtig.“ Der Vorstand der GEW sichert technische Hilfe für Flugblätter oder ähnliches zu, falls es zu Widerstand kommen sollte.
Die Frage der Pflichtstundenerhöhung für LehrerInnen steht noch offen. Ein Vorschlag: Lehrerstreik, wenn der Beschluß tatsächlich gefaßt wird. Doch dann wird aus der Runde der Lehrer berichtet, daß schon längst an allen Ecken und Kanten gespart wird — Klassenschülerzahlen von 34, zerfallende russische Mikroskope, überaltertes Kollegium und vieles mehr. Der Bildungssprecher der Grünen, Wolfram Sailer, meldet sich zu Wort und betont unter anderem: „Die Grünen werden versuchen aufzufangen, was passiert.“ Auffangen? Unmut unter den Anwesenden: „Nur viele Worte.“
Öffentlichkeit muß erst mal hergestellt werden, darin sind sich die GEW-Versammelten einig. Widerstand und gemeinsame Aktionen sind wichtig.
Die Diskussion geht weiter. Manche Schul steht schlechter da als andere. Und in Gegenden, wo sowieso jeder zweite geigt und fiedelt, gibt es Schulen mit drei Sorten Schulorchester. „Die Lage ist beschissen. Sie ist unterschiedlich beschissen, aber sehr beschissen.“
Knapp vor Versammlungsende werden einige KollegInnen unruhig. „Ich bin irritiert durch die Stimmung hier“. Ein Unerschrockener schlägt die Gründung einer „Kampfgruppe“ vor. Ein Zettel geht herum. Hier können sich Interessierte eintragen. Zweck: Ein Treffen, um Widerstand und gemeinsame Aktionen zu planen. Gabriele Heepen
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