: Raabensteins raffinierter Zuqer
■ Fünf mannshohe schmale Darstellungen in der »galerie + edition caoc«
Auf dem Dachboden treiben Geister die Wesen um. Sie treten aus den Köpfen und Körpern, die sie besessen hatten, wieder aus — durch alle nur vorhandenen Öffnungen. In langen Flüssigkeitsfäden rinnt das Fluidum aus Augen, Mündern, Ohren und den unteren Körperregionen, schwebt, zu runden schwarzen Formen verdichtet, durch die Luft, während aus dem Innern der Körper zahllose kleine Fratzen explodieren und nach allen Seiten davonfliegen. Der dies beschwor, der Exorzist, heißt Raabenstein, ist jedoch kein aus Transsylvanien angereister Spezialist, sondern seit Jahren in Berlin ansässig. Die Stätte der Austreibung nennt sich caoc — das ist kein ungeschlachter Höllenort, sondern eine ordentliche Galerie in Prenzlauer Berg. (»caoc« ist irisch und heißt »einäugig«; der Galerist Jürgen Schneider lebte, bevor er letztes Jahr die Galerie eröffnete, lange in Dublin.)
Das Elend der sich entgeisternden Körper ist auf fünf mannshohen schmalen Zeichnungen dargestellt, die gerahmt von einem Querbalken der fahl beleuchteten Bodenkammer baumeln. Es ist das jüngste Werk des Künstlers, eine Weiterentwicklung der Arbeiten, die eine Treppe tiefer gezeigt werden.
Das spukige Hauptwerk nennt sich Raabensteins Zuqer. Versehen mit dem Zusatz feinste Zeichnungen, gibt das auch der gesamten Ausstellung den Titel. Es handelt sich um eine Qualitätsangabe — »Zuqer« als Superlativ an Raffinesse bedeutet künstlerische Spitzenprodukte, das Kunstwerk als schönen und interessanten Gegenstand.
Das Motiv der annähernd vierzig zumeist kleinformatigen Zeichnungen ist die menschliche Figur. Reduziert auf die mit Bleistift oder Kohle gezeichneten Umrißlinien, sieht man Köpfe und Körper vor sich, Köpfe ohne individuelle Physiognomie, Körper ohne jegliche Plastizität und Körperlichkeit. Dem 31jährigen Raabenstein geht es nicht um die Darstellung der menschlichen Figur als solcher, im Gegenteil: der formalen Reduktion entspricht eine inhaltliche, die Figuren sind bloßes Ornament vor der Fläche. Die Fläche wird von Raabenstein eigens präpariert. Die Herstellung einer Zeichnung, die man besser, aber nicht schöner Papierarbeit nennen sollte, beginnt damit, daß er farbige Papiere, Farbfotografien seines Atelierbodens oder Illustrationen aus Anatomiebüchern auf größere Blätter aufklebt. Manchmal liegen mehrere Schichten übereinander, deren Kanten sich nie genau parallel zueinander verhalten. Damit ist ein Raster geschaffen, in das die Figuren hineingesetzt werden und auf das sie reagieren. Sparsame, teils mit Ölfarbe aufgesetzte Zeichen und Ornamente schaffen Gegengewichte. Raabensteins Meisterschaft liegt in dem sicheren Instinkt, mit dem er eine spannungsreiche Ausgewogenheit von Figur und Grund erreicht.
Damit ist aber das Werk noch nicht vollendet. Raabenstein überzieht alles mit dick aufgetragenem transparentem Lack. Die zentimeterdicke, gelbliche Schicht läßt das Darunterliegende, die farbigen Papierschichten, mit dem Lineament der Zeichnung verschmelzen. Das Ganze bekommt Gemäldecharakter.
Daß die Darstellung der menschlichen Figur einem ornamentalen Equilibrismus untergeordnet wird, hat eine lange Tradition. Man kann da die antike Vasenmalerei anführen, den japanischen Holzschnitt oder die Illustrationen des Jugendstils. Raabenstein bewegt sich in dieser Tradition, auch wenn es ihm fernliegt, sich darauf zu berufen. In ihrem Ausdruck und Aussehen sind die Raabensteinschen Gestalten zeitlich Näherliegendem verwandt.
Mit ihrer androgynen Nacktheit, ihren länglichen Proportionen, ihrer Alters- und Emotionslosigkeit erinnern sie an Figuren, wie sie in Cartoons vorkommen und auch bei verschiedenen menschenmalenden Künstlern, z.B. Cucchi und Clemente oder Manfred Stumpf. Sie entsprechen dem Bild, das die 80er Jahre vom entindividualisierten Menschen entworfen haben. Ein reichlich düsteres Bild. Die verfeinerte Delikatesse und Wohlausgewogenheit der Raabensteinschen Werke wird durch den finsteren Blick der Mutanten und Homunkuli empfindlich gestört.
Der Künstler Raabenstein ist durch und durch ein Manierist. Das offenbart sich in Kleinigkeiten, der Schreibweise von »Zuqer« beispielsweise oder seines Künstlernamens. Das zeigt sich in seiner Affinität zu Okkultem wie in den extremen Proportionen seiner Figuren. Dem Manieristen gilt der witzige Einfall mehr als das duchgreifende Konzept, Formvollendetheit mehr als klare Aussagen.
»Zuqer« ist süß, aber er hat keinen Eigengeschmack. Claudia Sedlarz
Bis 29.2., galerie + edition caoc, Schliemannstr. 23, HH, 1058, Di bis Sa 14-18 Uhr
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