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Stricher sind billiger als One-Night-Stands

■ SchwuZ-Talkshow über Strichjungen offenbarte Trend unter Schwulen, sich Liebhaber zu kaufen/ Der Vorteil: billiger als das Aufreißen, Stricher verlieben sich nicht und erfüllen auch ausgefallene Wünsche — Anschaffen aus »purer Lust« oder aus Not

Berlin. Die Schwulenszene ist auf den Strich gekommen. Zur Stammkundschaft der Knaben am Bahnhof Zoo gehören längst nicht mehr nur dickbäuchige, glatzköpfige Herren kurz vor dem Pensionsalter. Auch Szenegänger Mitte 20, die nach allgemeinem Urteil »so was gar nicht nötig« hätten, kaufen sich Jungen für die Nacht.

»Das ist billiger als Aufreißen«, meint Student Andi Grosser, der seine Samstagabend-Ausgaben für Taxi, Cocktails, Parfüm und Friseur einmal zusammengerechnet hat. Zudem seien Stricher besser als One- Night-Stands auf ausgefallene Wünsche vorbereitet und äußerten keine unangenehmen Bedürfnisse nach Nähe. »Man bezahlt, und hinterher hat man nichts mehr mit dem Typ zu tun.«

Den neuen Schwulen-Trend bestätigte am Freitag abend auch das »TalkSchwuZ« zum Thema »Strichweise leben«. In der Talkshow im Berliner Schwulenzentrum kamen ehemalige aktive Sexarbeiter, Streetworker und Mitstreiter der Aids-Hilfe zu Wort. Dabei ging es in der Diskussion weniger um die soziale Situation von Strichjungen, sich häufende Razzien in den einschlägigen Kneipen oder Probleme der Aids-Prävention.

Weil Jungmoderator Markus Baaken sich mit solch »abgehobenen« Fragestellungen nicht herumplagen wollte, präsentierte er eine Art Verbraucherberatung für Nachwuchs- Freier. Baakens Eingangsfragen: Wieviel kostet ein Strichjunge? Was macht er denn den ganzen Tag?

»Ein Stricher ist ein Mensch wie jeder andere«, entgegnete Streetworker Thomas Schwarz und wies auf unterschiedliche Motivationen hin. Während Strip-Tänzer Marc Poison seinen Körper für seine Schulausbildung verkaufte, gingen oder gehen andere Stricher aus purer Lust anschaffen oder »wegen der guten Kohle«.

Wieder andere tun es aus Not, um ihre bloße Existenz zu sichern. Von rumänischen Jungs, die »nach drei Monaten wieder aufhören und mit Farbfernseher und Videorecorder zurückfahren«, berichtete »Tabasko«-Barkeeper Holger Hosak.

Fast allen Strichern gemeinsam ist die selbstverständliche Einstellung zu ihrem Job. »In dieser Gesellschaft ist alles zu kaufen, warum nicht auch der Sex?« wehrte sich der Callboy und Ex-DDR-Bürger Jens gegen eine moralische Abwertung. Doch seine These, daß Prostitution schon beim Ausleihen eines Porno-Videos beginne, teilte nicht das gesamte Publikum.

Insgesamt gab man sich auf seiten der Freier schüchtern. So fanden die TalkSchwuZ-Veranstalter im Vorfeld keinen Knabenkäufer, der bereit war, mit auf das Podium zu kommen.

Ohne Erfolg blieben auch die Versuche von Micaela Riepe, ehemalige Hure und Powerfrau der Deutschen Aids-Hilfe, die Diskussion auf politische Knackpunkte zu lenken. Da die gemeinsame Interessenvertretung von Strichern noch in den Kinderschuhen stecke und die Schwulen — im Gegensatz zur Frauenbewegung — das Thema Prostitution weitgehend ausklammerten, ließen sich ihre Erfahrungen aus der Hurenemanzipation nicht ohne weiteres übertragen.

Riepes Forderung nach Anerkennung des Stricher-Berufs wurde etwa mit Staunen bedacht. Allgemeines Kopfnicken erntete erst ihr Hinweis, daß zu diesem Job auch Talent und Qualifikation gehörten. Ein Freier aus dem Publikum zustimmend: »Wenn ich einen Stricher mitnehme, und der kriegt keinen hoch, finde ich das nicht in Ordnung.« Micha Schulze

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