Drogenfreie Gesellschaft ist eine Illusion

■ Auf einer Anhörung forderten Jusos und Selbsthilfegruppen eine »akzeptierende Drogenpolitik«, die Drogenabhängige nicht ausgrenzt/ Jugendsenator Krüger zieht positive Bilanz der bisherigen Politik

Berlin. Für die Berliner Jusos ist der Senat mit seiner bisherigen Drogenpolitik gescheitert: Die Zahl der Drogentoten steigt rasant, und die Verelendung der Abhängigen nimmt immer weiter zu. Deshalb luden sie am Sonnabend zu einer Anhörung im Jugendzentrum »Pallast«, auf der rund 150 Vertreter von Selbsthilfegruppen sowie Jugend- und Gesundheitspolitiker Wege einer »akzeptierenden Drogenpolitik« diskutierten, die davon ausgeht, daß Menschen Drogen einnehmen, und nun Möglichkeiten zu einem menschenwürdigen Umgang mit ihnen schaffen will.

»Es ist eine Illusion zu glauben, daß es eine Gesellschaft ohne Drogen geben kann«, meinte Eva Kampmeyer, Mitglied des Bundesvorstands der Jusos, und verlangte, »zu akzeptieren, daß Menschen in bestimmten Lebensphasen Drogen nehmen«. Es komme darauf an, den richtigen Umgang mit Drogen zu erlernen. Als kurzfristige Maßnahmen forderten die Jusos eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums, die Legalisierung weicher Drogen, die Abgabe von Methadon und Originalpräparaten an Süchtige, die an keiner Substitution teilnehmen können, die Einrichtung von Fixerstuben und mobile Abgabestellen von sterilen Spritzbestecken sowie ein generelles Werbeverbot für alle Drogen, also auch für Alkohol und Tabakwaren.

Professor Manfred Kappler vom »akzept e.V.« forderte die Toleranz ein, »Menschen ein nichtkonformes Leben führen zu lassen«. Die Liebes- und Rauschbedürfnisse junger Menschen dürften nicht kriminalisiert werden. Seiner Ansicht nach muß unterschieden werden zwischen der Drogensucht und dem Drogenkonsum. »Der sicherste Schutz vor dem Mißbrauch ist das Lernen des selbstbestimmten Umgangs mit Rauschmitteln«, behauptete Kappler.

Eugen Gnant vom Anti-Drogen- Verein stellte fest, das Leben der Abhängigen sei von Kriminalisierung, einem katastrophalen Gesundheitszustand, enormer Verschuldung und dem Verlust sozialer Kontakte gekennzeichnet. »Der Staat verstärkt mit seiner Drogenpolitik noch diese Wirkungsweisen der Drogen«, kritisierte Gnant. Auch Rolf Bergmann von der Drogenberatung Tiergarten warf dem Berliner Senat vor, seine Politik sei ein »ständiger Widerstand gegen alle Versuche, für drogenabhängige Menschen Hilfe zu schaffen«.

Wie die Selbsthilfegruppen setzte sich auch die Gesundheitsstadträtin von Schöneberg, Eva Luber (AL), für die Schaffung von Fixerstuben ein. »Es ist eine Lüge zu behaupten, daß in öffentlichen Räumen das Drücken nicht zugelassen wird. Wir sollten es nur offen zugeben und Fixer nicht auf die Toiletten verdrängen«, sagte sie.

Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) warf den Vertretern der akzeptierenden Drogenpolitik jedoch eine »hedonistisch-libertäre Politikvorstellung« vor und zog — wie auch der Drogenbeauftragte Wolfgang Penkert — eine eher positive Bilanz der Berliner Drogenpolitik. Der drastische Anstieg der Drogentoten ist seiner Meinung nach auf den erhöhten Wirkstoffanteil im Heroin und die Anziehungskraft zurückzuführen, die von Berlin ausgehe. Der Senat werde nach wie vor daran festhalten, die Zugriffsschwelle zu weichen wie harten Drogen möglichst hoch zu halten. Drogenpolitik dürfe nicht nur aus der Sicht der Abhängigen betrieben werden, betonte Penkert. Allerdings müsse die Prävention noch verstärkt werden und die Sozialpolitik mehr Möglichkeiten schaffen, Abhängigen den Ausstieg aus der Suchtsituation zu ermöglichen. Thekla Dannenberg