Ohne Hörsturz zum Höhenflug

■ Beim »Springen mit Musik« katapultierte sich der Neuberliner Sergej Bubka in der niedrigen Schöneberger Sporthalle wagemutig über 6,13 Meter zu seinem ersten Weltrekord in diesem Jahr/ Ganz Ohr dabei war unser Reporter Schmiernik

Schöneberg. Es soll eine Weisheit geben, die besagt, daß ein Mensch sich um so besser konzentrieren kann, je mehr Ruhe um ihn herum herrscht. Seit dreizehn Jahren jedoch beweisen die hochspringenden VertreterInnen der leichtathletischen Zunft beim »Springen mit Musik« das krasse Gegenteil. Unterstützt von mehreren hundert Watt lassen sie sich von ihrem Nummer-1-Hit bedröhnen, um in die richtige Höhenstimmung zu kommen.

Denn was die Beschallungsanlage des mit 100,6prozentiger Sicherheit dämlichsten Radiosenders von Berlin durch die Halle schickte, ließ selbst die widerstandsfähigsten Lauschlappen zerknittern. Den meisten der fast 1.600 BesucherInnen machte das scheinbar nichts aus, sie erhöhten tapfer den Lärmpegel durch besinnungslos arhythmisches Klatschen, um ihren HeldInnen die richtige Schrittfolge beim Anlauf vorzugeben.

Diese ließen sich erstaunlicherweise davon nicht irritieren und sorgten für das von der Leistung her bisher beste Springer-Meeting in Berlin. Am besten verkraftete der Neuberliner Stabhochspringer Sergej Bubka den ganzen Rabatz und ersprang bei seinem ersten Auftritt in seiner neuen Heimstatt gleich mit 6,13 Metern einen neuen Hallenweltrekord. Eine in zweifacher Hinsicht bewunderungswürdige Leistung; zum einen gehörte Bubka früher eher zu denjenigen, die absolute Ruhe vor ihren Auftritten forderten, während er am Freitag vollkommen geläutert den höchsten Klatschpegel abwartete, um mit dem durch Tina Turners Röhren erzitternden Sprungstab das neue Nutbush City Limit zu setzen. Zum anderen bewies er, daß er keine Angst davor hat, ihm könne der Himmel auf den Kopf fallen. Schließlich ist die von Stabhochspringern nicht sehr geliebte Halle so niedrig, daß der Abstand zwischen Latte und Decke so eng wirkt, als müsse man durch einen Briefkastenschlitz hindurchspringen.

Nicht ganz so erfolgreich war im Hochsprung der Frauen die neue garantiert dopingfreie Vorzeigeathletin Heike Henkel. Immerhin stellt sie mit 2,04 Metern einen neuen Schöneberger Hallenrekord auf und verriet dem Publikum durch ihren Musikwunsch ihre geheimsten Gedanken. You are always on my mind, wollte sie einem neuen Weltrekord so soft und leise schmeicheln, doch der war garstig und ließ sie die 2,08 Meter dreimal knapp reißen.

Überhaupt war festzustellen, daß die springenden Burschen mehr möglichst knallige und laute Rhythmen bevorzugten. Der zweitplazierte Stabhochspringer Grigori Egorow hatte zu Queens I want it all und damit eindeutig zu weit gegriffen. Zudem hatten die armen Männer auch unter organisatorischem Chaos zu leiden. Der mit nur 1,83 Metern Größe fast schon als Springfloh zu bezeichnende Rumäne Sorin Matei mußte bei seinem artistischen Salto- Flop über 2,36 Meter einige Male auf seine »Genesis« verzichten; Medizinstudent Ralf Sonn erreichte aus Sorge um seine Hörkraft die gleiche Höhe mit weniger Sprüngen und gewann.

Am schlimmsten erwischte es den fünfmaligen Sieger Carlo Tränhardt. Fast 35jährig, besann sich der Mensch mit dem zuckenden Schenkelfleisch auf seine weit zurückliegende Jugend und wollte sich von Jethro Tulls Locomotive Breath über die Latte püsteln lassen. Aber er hatte wohl zuwenig Kohlen eingeworfen und schnaufte grad mal über 2,20, wie ein nasser Sülzsack. Tempi passati...