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Der Mann im Hintergrund

Zur Hal-Roach-Retrospektive der Berlinale  ■ Von Frank Arnold

Die Rolle von Hal Roach bei der Etablierung der Laurel & Hardy-Filme kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“, schrieb der Filmhistoriker William K. Everson in The Films of Laurel & Hardy (deutsch 1980). „Über Laurel & Hardy als Team noch viele Worte zu verlieren, das wäre, als würde man ein elektrisches Klavier eine steile Treppe hinaufwuchten, während hinten herum eine bequeme Serpentinenstraße hochführt, die der eigenen Anschauung nämlich“, hieß es im Programmzettel des Münchner Filmmuseums vom Januar in Anspielung auf den 'Oscar‘-gekrönten Laurel & Hardy-Film The Music Box.

Auch die Retrospektive der diesjährigen Berlinale weiß natürlich um den Marktwert des Komikerduos und zeigt in der Abendschiene des 'Cinema Paris‘ konsequent nur die gemeinsamen Langfilme des Duos (bis auf ein Programm mit frühen Soloarbeiten Stan Laurels). Aber es geht um den Mann im Hintergrund, der aus den beiden erst ein Team machte. Um Hal Roach als den Mastermind.

„Ich gab ihnen (den Autoren, Anm.) jeweils die Grundidee. Dann begannen sie mit den Dreharbeiten. Sie drehten einen Tag, und am nächsten Tag gegen Mittag war eine Kopie im Vorführraum. Ich sah mir an, was sie aufgenommen hatten, und entschied, ob es gut war, ob es nochmals gedreht werden sollte, ob es länger sein sollte oder kürzer oder was immer.“ (Hal Roach) Wie Mack Sennett in den Zehner Jahren der entscheidende Produzent im Komödienbereich war, so war es Hal Roach in den zwanziger Jahren. Als Zwei-Akter die Ein-Akter ablösten, veränderte das die Produktionsweise. Nicht länger mehr wurde ausschließlich improvisiert, auf zusammenhängende Geschichten wurde mehr Wert gelegt als auf die bloße Abfolge von Gags. Roach begriff das, er dachte langfristiger als Sennett und suchte seine Komiker voneinander unterscheidbar zu machen: jedem seine eigene Individualität. „Nicht umsonst war jeder, der von Hal Roach für eine Rolle in seinen Produktionen ausgewählt wurde, dankbar für die Chance. Das 'kleine grüne Efeustudio‘ wurde von Leuten, die dort gearbeitet haben, als Studio mit herzlicher Atmosphäre und engem Filmzusammenhalt beschrieben“, sagt Roachs Biograph Richard W. Bann und zitiert die Schauspielerin Patsy Kelly mit den Worten: „Hal Roach war einfach der beste Boß, den ich in der Branche je hatte, ich habe mich fast geschämt, Geld zu nehmen.“

Fast zu idyllisch, um wahr zu sein. Sieht man allerdings heute mehrere der Filme im Zusammenhang, so kann man den Eindruck des Familiären nicht leugnen: dieselben Personen hinter, dieselben Gesichter vor der Kamera, die Hauptdarsteller aus den Kurzfilmen von gestern als Nebendarsteller in den Langfilmen von heute.

Sicher ist: Hal Roach, das ist mehr als Laurel & Hardy. Wer will, kann auch in dieser Retrospektive Entdeckungen machen. Mein Geheimtip: Thelma & ZaSu, Thelma & Patsy: working girls, die in der Großstadt zu überleben versuchen. ZaSu Pitts (bekannt aus Erich von Stroheims Greed und Wedding March) ist das Mädchen vom Lande, das seinem Heimatort Joplin nachtrauert, ängstlich und in sich gekehrt. Ohne Thelma Todd, die selbstbewußte Blondine wäre sie verloren. Jedes noch so kleine Glücksversprechen ergreifen sie, aber entkommen können sie der alltäglichen Plackerei nie. Nach drei Jahren löste Patsy Kelly ZaSu Pitts ab. Sie ist in gewisser Weise ihr Gegenteil, schlagfertig. Allerdings öffnet sie meist den Mund, ohne viel nachzudenken und bringt sich und ihre Freundin genauso in Schwierigkeiten. Auch sie wäre ohne Thelma verloren.

In den vierziger Jahren wurden die kurzen Komödien von den Cartoons verdrängt, und in denen war alles möglich war. Hal Roach produzierte abendfüllende Komödien, die nicht mehr, wie die Langfilme von Laurel & Hardy in den Dreißigern, von bestimmten Komikern dominiert wurden. Aber auch die Avantgarde wird einmal alt: die Premierenkritiken wurden nicht müßig, darauf hinzuweisen, an welchem Erfolgsfilm Roach sich diesmal orientiert hatte. Seine Version von It happened one night hieß There goes my heart (die durchgebrannte Millionärstochter und der Reporter), My Man Godfrey verwandelte er in Merrily we live (Tramp wird von gutsituierter Familie aufgenommen) und Twentieth Century in Broadway Limited (Exzentriker im Zug). Die Schärfe der Originale wurde dabei zumeist verwässert, als sei Roachs Motto: bloß nicht zuviel sophistication. Vielleicht hatte er als Publikum eher Menschen wie die Bewohner der Kleinstadt in seinem Film Zonobia vor Augen. Was nicht heißt, daß es in diesen Filmen nicht hinreißende Szenen gibt; die ausgefeilten Stories, mit denen sich Roach in den zwanziger Jahren profiliert hatte, sucht man hier jedoch meist vergebens.

Dreimal allerdings wagte er sich auf Neuland: In One Million B.C. ließ er Echsen als Urweltsaurier ausstaffieren und zu blutigen Kämpfen miteinander antreten, mit Of Mice and Men ließ er Lewis Milestone einen Film mit Anspruch drehen und mit Topper gelang ihm 1937 eine Symbiose aus Screwball-Comedy und Gespenstergeschichte. Der Film war so erfolgreich, daß zwei weitere Fortsetzungen entstanden, in denen das Fehlen des Stars Cary Grant durch Tempo und geschliffene Dialoge wettgemacht wurde.

Anfang der fünfziger Jahre wurde das Fernsehen von den meisten Filmfirmen noch boykottiert. Aber Roach war schon im Geschäft, u.a. mit Fernsehkurzfilmen, die von prominenten Regisseuren mit Kinostars inszeniert wurden.

Hal Roach hat jede Menge bemerkenswerter Filme produziert. Wie jedoch sein Anteil daran aussah, wie die Zusammenarbeit zwischen Regisseuren, Schauspielern, Gag- Schreibern und 'Supervisoren‘ verlief, darüber gibt die Begleitpublikation zur Retrospektive leider kaum Auskunft. Die Autoren Anke Sterneborg, Michael Althen und Fritz Göttler geben treffende Charakterisierungen und hübsche Detailbeobachtungen; was zu kurz kommt, ist der Kontext. Nur der amerikanischen Filmhistoriker William K. Everson gibt Auskunft darüber. Dessen Text allerdings ist (weil er so spät vorlag) nur in der englischen Ausgabe enthalten.

Auf der Rückseite des Buches prangt das Logo von ‘SAT 1‘. Die Retrospektive ist nämlich keine langfristig geplante zum 100. Geburtstag von Hal Roach (der am 19. Januar war), sondern geht auf eine Anregung der Kirch-Gruppe zurück, die die Filmrechte außerhalb Amerikas besitzt und sie an Verleihe bzw. an Fernsehanstalten verkaufen will. Eine solche Konstruktion ist keinesfalls ungewöhnlich: Auch die Retrospektive mit Filmen des Produzenten Sam Arkoff beim letzten Münchner Filmfest hatte ähnliche Hintergründe. Als Filmfan kann man froh sein, die Filme in der integralen Fassung auf der Leinwand sehen zu können, zeigte doch das Programm von SAT 1 am 16. Februar, was das Fernsehen daraus macht: Da lief um 0.10 Uhr der Laurel & Hardy-Film Swiss Miss in der vollständigen (wenn auch synchronisierten) Fassung — unter dem Titel Dick und Doof als Salontiroler. Am Nachmittag konnte man den Film in der gräßlichen computercolorierten Fassung sehen. Und bereits um 10 Uhr früh war eines dieser meist wahllos zusammengestückelten, mit einem „lustigen“ Kommentar unterlegten Teile über den Bildschirm geflimmert. Pauschaltitel: Dick und Doof.

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