: Hurra, das Kino brennt
■ Miros „Beltenebros“ im Wettbewerb
Ein Deja Vu. Darman, Mitglied einer kommunistischen Organisation, die ihre Verbindungen über ganz Europa ausgebreitet hat, soll in Madrid einen Verräter hinrichten. Als er im Versteck des Delinquenten in dessen Unterlagen stöbert, fällt ihm ein Buch in die Hände, ein Groschenroman, den er schon einmal gesehen hat — in Madrid, aber fast zwanzig Jahre früher. Auch damals ging es um Verrat von kommunistischen Weggefährten, die in den Folterkellern Francos landeten. Auch damals war Darman, überzeugt davon, der Partei einen wichtigen Dienst zu erweisen, nach Spanien gereist, um den Verräter zu liquidieren. Doch nach erfülltem Auftrag erfuh er, daß er den Falschen erwischt hat. Jetzt, mit dem Buch aus den vergangenen Tagen in der Hand, überkommt ihn die Angst, daß der neue Fall wieder so enden könnte.
Was den spanischen Regisseur Pilar Miró offensichtlich am wenigsten interessiert hat, das ist die bildliche Umsetzung des Deja-Vu-Erlebnisses. Mit der plumpen Einblendung „Madrid 1946“ versetzt er Darman zurück an den Ausgangspunkt seiner quälenden Erinnerungen; völlig beliebig holt er ihn dann wieder in die Gegenwart zurück, ohne daraus irgendeine Spannung für den Fortgang der Handlung zu gewinnen. Miró ist viel zu sehr damit beschäftigt, auch dem Zuschauer ein Gefühl zu geben, das alles schon einmal gesehen zu haben. Er gestaltet seine Einstellungen ganz im Geist des 'Film noir‘ und rühmt sich mit jedem naß leuchtendem Pflasterstein seiner Kunstfertigkeit, Artifizielles zu produzieren.
Zum Schluß trifft Darman doch noch den echten Verräter. Ein Showdown, das den Film endgültig der Quacksalberei überführt. Hier bedient sich jemand der Mittel, die er nicht beherrscht. Der letzte Schußwechsel findet in einem alten Kino statt — wo auch sonst? Der Film, der aus unerfindlichen Gründen plötzlich auf die Leinwand projeziert wird, beginnt zu brennen. Das Bild schmilzt und wirft Blasen, während vorn der Verräter mit einem Hodenschuß jämmerlich verblutet — Strafe für die Folter und die Hinrichtung unzähliger Genossen. Dann züngelt auch an der Leinwand, auf der das Bild erstirbt, eine Flamme. Das ganze Kino brennt, doch es springt kein Funke über. Der Tod des Kinos, nirgends ist er geschwätziger demonstriert worden. Christof Boy
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