KOMMENTAR: An der Legalität vorbei
■ Die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen im „Fall Herrhausen“ ist endgültig dahin
Mehr als zwei Jahre lang tappte das Sonderkommando im Dunkeln. Der „Fall Herrhausen“ drohte zu einem zweiten „Fall Karry“ zu werden, zu einem weiteren Glied in der Reihe nicht einmal ansatzweise aufgeklärter Gewaltverbrechen an einem Top-Repräsentanten des Systems. Da zogen Bundesanwaltschaft und der hessische Verfassungsschutz den „Kronzeugen“ Nonne aus dem Hut. Der sei mittelbar an den Vorbereitungen der Mordaktion beteiligt gewesen und habe zudem zwei steckbrieflich gesuchte „RAF- Terroristen“ und zwei bislang unbekannte Personen mit den Decknamen „Peter“ und „Stephan“ als Täterquartett benennen können. Der hessische Innenminister Herbert Günther (SPD) erklärte triumphierend, erstmals seit Jahren sei die strikte konspirative Abschottung der RAF-Kommandoebene durchbrochen worden.
Knapp fünf Wochen nach den Erfolgsmeldungen steht fest, daß die Bundesanwaltschaft und das Landesamt für Verfassungsschutz der Öffentlichkeit einen Bären aufgebunden haben: „Kronzeuge“ Nonne mit der labilen Psychostruktur kannte seine Terroristenfreunde offenbar nur von den Fahndungsplakaten oder aus weit zurückliegenden anderen Zusammenhängen — und die Phantome „Peter“ und „Stephan“ existieren wohl nur in der Phantasie des Ex-V-Mannes, dessen wirre Geschichten sich nach dem Attentat noch nicht einmal die hessischen Verfassungsschützer anhören wollten. In der vergangenen Woche hat sich Nonne nun daran „erinnert“, den Verfassungsschutz bereits vor dem Attentat gewarnt zu haben. Dies dürfte der spezifische Beitrag der Bundesanwaltschaft (BAW) zur Rettung der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen sein.
Bis heute haben die Verfassungsschützer die Existenz eines Zeugen verschwiegen, der die Aussagen Nonnes als Hirngespinste eines aus der geschlossenen Abteilung einer Nervenklinik entlassenen Mannes entlarvte. Falls auch die Sprengstoffkomponenten, die von den Fahndern angeblich im Keller von Nonne sichergestellt worden sind, tatsächlich aus einem anderen „Labor“ als dem der RAF stammen, dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, daß die „heiße Spur“ im Mordfall Herrhausen von intimen Kennern des Komplexes vorsätzlich gelegt wurde. Ob in diesem Fall die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission des hessischen Landtages und auch der Innenminister, der nach Lage der Dinge vom eigenen Verfassungsschutz düpiert wurde, noch an die Schweigepflicht gebunden sind, müssen die involvierten Politiker mit ihrem Gewissen ausmachen. Die vielzitierte und gleichfalls düpierte Öffentlichkeit hat jedenfalls ein Recht auf lücken- und schonungslose Aufklärung. Klaus-Peter Klingelschmitt
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