Stille Tage in New York

■ Filme von Woody Allen im Rahmenprogramm der »Jüdischen Lebenswelten«

Noch bis zum 22. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von Mittwoch bis Sonntag, um 20 Uhr jüdische Filme aus verschiedenen Ländern und Epochen. Jeden Mittwoch stellen wir sie hier kurz vor.

Woddy Allens Annie Hall (1977), mit dem das Programm heute abend beginnt, sollte ursprünglich Anhedonia (Unfähigkeit zu genießen) heißen und ist hierzulande als Der Stadtneurotiker bekannt geworden. Mit diesen drei Titeln ist der Film umrissen: Ein jüdischer New Yorker stand-up comedian (Allen) verliebt sich in eine Schickse aus Wisconsin (Diane Keaton). Aber während er an seiner Midlife-crisis herumlaboriert, wird sie von einem schmalzlockigen Tony (Paul Simon!) nach Los Angeles gelockt — für New Yorker Juden so was ähnliches wie Schwabing für Neuköllner. Ein letztes Treffen beenden die beiden freundlich, aber als Singles.

Neben seinem Repertoire als Komiker entfaltet Allen hier erstmalig seine Virtuosität als Cineast, der am Cinema Verité und an Godard genauso geschult ist wie an Bergman, aber alle Traditionen ironisch bricht: Nach einem Streit über Sex auf der Lexington Avenue kommen Passanten und geben Kommentare ab (»Wir benutzen immer ein rohes Ei«); der echte Marshal McLuhan weist einen Schwätzer über seine Thesen zurecht; während sich das Paar verquer über Kunst unterhält, zeigt ein Untertitel ihre Gedanken (»Möchte wissen, wie sie nackt aussieht«).

Annie Hall ist einer der ersten Filme der siebziger Jahre, der Sex und seine Untiefen im Kino hoffähig machte. Gleichzeitig ist er auch eine Art Katerfrühstück für die Love and Peaceniks, die sich, statt am Busen eines mütterlichen Kollektivs, plötzlich auf der teuren Ledercouch eines Analytikers wiederfanden.

Donnerstag abend folgt Allens postmoderne Pikareske, die Geschichte eines menschlichen Chamäleons namens Zelig (1982). Zelig nimmt zwanghaft die Identität seines Gegenüber an, wird in Gegenwart von Schwergewichtlern dick, schwarz in Gegenwart von Schwarzen und würdig-wichtig neben Präsident Hoover. Kunstvoll retouchierte Fotos, getürkte Nachrichtensendungen und ein Kommentar im dramatisierten Wochenschau-Stil enthüllen den Dokumentarfilm als Kunstprodukt. Zusammenmontiert werden Interpretationen des Geschehens durch Personen aus Woodys eigenem Pantheon: Die Kunstkritikerin Susan Sontag hält es für ein ästhetisches Phänomen, der Schriftsteller Saul Bellow meint, Anpassung führe in den Faschismus (tatsächlich wird Zelig hinter dem »Führer« gesichtet), und Irving Howe sieht Zeligs Verwandlungen als Metapher für die Assimilation der Juden in der Diaspora. Einzig die Analytikerin Eudora Fletcher (Mia Farrow) glaubt an eine psychologische Ursache des Phänomens, heilt ihn, verliert ihn und findet ihn dann wieder, wobei er beide letztendlich durch den Zelig- Effekt rettet. Sie werden ein Paar, und wie so viele Paare sehen sie sich nach einigen Jahren zum Verwechseln ähnlich...

Auch Broadway Danny Rose (1984) macht die Kunst in der Kunst, das Show-Biz im Film zum Thema. Im Carnegie Delicatessen am Broadway sitzt eine Mischpoke von professionellen Komikern, die sich — in der Märchenerzähler-Atmosphäre, die an so einem verregneten Herbsttag schon einmal aufkommen kann — Geschichten von einem Manager erzählen, einem Schlemiehl, der eine Reihe von Freaks wie eine Mutter betreut — einen Bauchredner, der stottert; einen einbeinigen Stepptänzer und andere hoffnungslose Aspiranten. Einem von ihnen zuliebe durchlebt er eine Odyssee, zusammen mit der sonnenbebrillten Mia Farrow, die ihn mehrmals an den Rand des Untergangs bringt. Danny Rose entgeht ihm, indem er einen Schwall von Jiddischismen und gestelzten Phrasen auf den Angreifer herabprasseln läßt (»darling... may I interject one concept at this juncture?« entgegnet er einem zähnefletschenden Mafioso).

Die Panik hinter den Schutzmechanismen kommt nur dann durch, wenn die Show nicht mehr weitergeht, wenn das Karussel gestoppt wird. Bei alledem spielt, neben Woody Allen, immer die Stadt die zweite Hauptrolle, ein Spiegel der Persona, die er sich inzwischen aufgebaut hat: Die schillernden Aushänge der Kinos, der ewige Regen, die gelben Taxen, der Farn im Central Park, die Neonlichter — alles ist zugleich pulsierendes Leben wie todessehnsüchtige Untergangsstimmung. Mariam Niroumand