: Freie Liebe und der Kampf gegen die West-Plastetüten
Die Geschichte einer 1969 gegründeten Kommune in Ost-Berlin, die ähnlich wie die westliche antiautoritäre Bewegung, ihren Weg von der Überwindung der Kleinfamilie hin zur revolutionären Vorhut der DDR-Arbeiterklasse ging — links an der SED vorbei im Kampf für höhere Normen ■ Von Anja Seeliger
Im Frühjahr 1969, ein halbes Jahr nach dem Ende des Prager Frühlings, bezogen drei Familien eine dreieinhalb-Zimmer-Wohnung in der Samariterstraße im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain, um ihrem Staat zu beweisen, daß eine Kommune die adäquate Lebensform im Sozialismus ist.
Die Mitglieder waren zwischen 19 und 22 Jahre alt und kamen aus dem Freundeskreis um die Kinder von Robert Havemann: Frank Havemann, Freundin Erika Berthold mit Kind. Franziska Havemann und Gerd Grosser mit Kind. Klaus Labsch und seine Frau.
Vor dem Einzug in die Samariterstraße hatten sich die zukünftigen Kommunarden oft in Robert Havemanns Haus in Grünheide getroffen. Havemann war Chemieprofessor und Nationalpreisträger der DDR, bevor er 1964 wegen seiner Forderungen nach mehr Demokratie und Meinungsfreiheit von der Universität relegiert worden war. Wolf Biermann, damals 32 Jahre alt, war ebenfalls häufiger Gast bei den Havemanns.
23 Jahre später berichtet Klaus Labsch etwa dreißig Zuhörern in der Ostberliner Galerie „Hausgeist“ — eingeladen vom Westberliner „Netzwerk“ — über dieses Experiment, das nur vier Jahre dauerte; und er tut es mit derselben disziplinierten Erbarmungslosigkeit gegen sich selbst, die ihn 1969 ausgezeichnet haben muß.
Söhne und Töchter der DDR-Spitzen
Die Kommunarden waren durch die Bank weg Söhne und Töchter von DDR-Intellektuellen und Funktionären. Bertholds Vater war Direktor des Instituts des ZK für Marxismus- Leninismus, die Mutter von Gerd Grosser Verlegerin des privaten Altberliner Kinderbuchverlages. Zu den ständigen Besuchern der Kommune gehörte unter anderen Thomas Brasch, Sohn des Präsidenten der Liga für Völkerfreundschaft.
Im Westen hatten die Jahre 1967/68 der Bundesrepublik einigen Wirbel beschert. Politisches Bewußtsein, freie Liebe und Psychoanalyse: Die Medien kriegten sich kaum mehr ein. Die Gründung der Kommune 1 sorgte dafür, daß nichtsnutzige europäische Fürsten die Berichte über ihre amourösen Abenteuer in den Kurzmeldungsspalten der Boulevardpresse suchen mußten.
„Die schönsten Frauen laufen eingehakt mit den schärfsten Vordenkern des Otto-Suhr-Instituts unterm vordersten Transparent. Und sie geraten prompt aufs Titelbild von 'Paris Match‘. Eine rasende Lockerheit verbreitete sich... ein abrupter Positionswechsel vom steilen Eßzimmerstuhl in den Schneidersitz“, schreibt Marie-Luise Scherer zehn Jahre später im 'Spiegel‘.
Überwindung der scheinbaren Gegensätze privat/öffentlich, Freizeit/Arbeit, Diskussion der psychischen Befindlichkeit und gemeinsame Kindererziehung — die Ziele der Kommune in der Samariterstraße hätte auch die K1 in West-Berlin unterzeichnet. Pragmatisch gesehen wollte Fritz Teufel im Westen seine Orgasmusschwierigkeiten beheben und Klaus Labsch im Osten „die Zweierbeziehung, die so vor sich hin dümpelte“, auffrischen.
Die Revolution wartet gleich um die Ecke
Die Unterschiede waren nicht sehr groß. Abgesehen vom Fundament der Bewegung. Während in West- Berlin die Überzeugung, daß die Revolution gleich hinter der nächsten Straßenecke wartet, eine gänzlich ungermanische Leichtigkeit auslöste, kam das Ostberliner Kollektiv nach „gründlicher Analyse der Vergangenheit der DDR“ zu dem nüchternen Schluß: Das Eigentum ist umverteilt. Jawohl, hier hat die Revolution stattgefunden. Das war kein Boden, auf dem sich die „rasende Lockerheit“, die sie für ein Titelbild von 'Paris Match‘ empfohlen hätte, einstellen konnte. Daß die revolutionären Errungenschaften noch von „einigen störenden Hüllen der Vergangenheit“ befreit werden mußten, war eine Erkenntnis, die eher nach harter Arbeit verlangte als nach leichtfertiger Spontaneität.
Die Gründung der Kommune war ein ziemlich mutiges Unterfangen. Die Stasi beanspruchte einen Dauerparkplatz vor der Tür, um die Bewohner daran zu erinnern, daß der Staat die Kommune keineswegs für eine sozialistische Lebensform hielt und nur darauf wartete, sie am Wickel zu kriegen. Funktionärskinder hin oder her. Wie das ausgehen konnte, hatte er ihnen bereits im Jahr davor demonstriert.
Florian und Frank Havemann, damals 16 und 19 Jahre alt, waren im September 1968 verhaftet worden, als sie im Zentrum Ostberlins mit weißer Farbe den Namen Dubcek an die Häuserwände malten. Verhaftet wurden wegen „staatsgefährdender Hetze“ auch Berthold, Labsch und Brasch.
Fidel Castro sorgt für den Bruch
Einen Monat später schockierte die Richterin Klabuhn die Jungprominenz mit Gefängnisstrafen zwischen 15 und 27 Monaten. Damit auch jedem klar wurde, wer da getroffen werden sollte, sagte Klabuhn in ihrer Urteilsbegründung: „Zu ihrer gegen die sozialistische Ordnung in der DDR gerichteten Haltung wurden die Angeklagten von Robert Havemann und Wolf Biermann systematisch inspiriert.“ Nach westlichen Protesten wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt.
Wenige Monate nach dem Einzug in die Samariterstraße, im Sommer 69 hielt Fidel Castro eine Rede, die das Kollektiv quer durch die Familien zerschnitt. Castro, neben Lenin und Che Guevara der hellste Stern am Himmel des Sozialismus, billigte den Einmarsch der Sowjets in Prag. „Zögernd“, bemerkt ein Westler bei der Veranstaltung in der Galerie „Hausgeist“. „Von dem Zögern haben wir aber nichts mitbekommen“, sagt Labsch.
Ein Teil der Gruppe entschied sich nach Castros Rede für die Emigration. Der andere Teil beschloß, das Jahr 1968 als eine Zeit der Verirrung aus seinem Leben zu streichen. Franziska Grosser verließ ihren Mann und ging mit ihrem Kind Ende der siebziger Jahre in den Westen. Ebenso wie Florian Havemann und Thomas Brasch.
Die in der Samariterstraße Zurückgebliebenen erteilten Robert Havemann und Wolf Biermann nach dem Auszug von Franziska Grosser Hausverbot. Solange Franziska noch dort wohnte, durfte sie die beiden nur in einem extra zugeteilten Raum mit separatem Eingang empfangen. Frank Havemann weigerte sich zehn Jahre lang mit seinem Vater zu reden und das Kollektiv diskutierte, ob er nicht besser seinen Nachnamen ändern sollte. Nach Castros Rede, sagt Labsch, habe er fast ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber der Staatsanwaltschaft empfunden, daß sie ihn vor weiteren Schäden bewahrt habe.
Spricht Labsch heute mit nur wenig verbitterter Gelassenheit von den Funktionären, die sich durch ihre blitzschnelle Wendung zur kapitalistischen Gesellschaft für immer der Verachtung preisgegeben haben, so ist Biermann immer noch ein Stachel in seinem Fleisch. Havemann und Biermann, glaubt er, seien nicht unschuldig an der Entwicklung der Kommune zu einem exklusiven Orden. Ihre Weigerung, Castros Haltung „auch nur im Ansatz zu diskutieren“, empfindet er auch heute noch als spießige Reaktion, wie sie konservativen Funktionärseltern anstand, nicht aber Intellektuellen.
Die Sehnsucht nach der sozialistischen Geborgenheit
Der Bruch war unwiederruflich und eine „Sehnsucht nach Geborgenheit“ machte sie reif für ein Glaubensbekenntnis. Mit dem ganzen Feuer der vom Zweifel befreiten Gläubigen warf sich das Kollektiv den real existierenden Sozialisten in die Arme und wurde rüde abgewiesen. Trocken erklärte die FDJ, „das ein Eintritt in die Partei nicht in Frage kam“. Das System nahm ihnen die Bekehrung nicht ab. Nicht, solange sie noch in einer Kommune lebten.
Zu Havemann und Biermann führte kein Weg mehr zurück und die Partei traute ihnen nicht über den Weg. „Zutiefst verletzt“ wären sie am liebsten mit einer Brigade nach Vietnam gegangen, sagt Labsch. Statt dessen mutierte das Kollektiv zu einer Sekte, deren asketische Disziplin einen notorischen Schwarzseher wie Calvin die Existenz eines gnädigen Gottes hätte erwägen lassen.
Voller Furcht, „sich auf das Glatteis kleinbürgerlicher Fluchten zu begeben“, hakten die Kommunarden gemeinsame Kindererziehung und sexuelle Revolution im Eiltempo ab. Die pädagogischen Ideen endeten in der — nicht unvernünftigen — Überlegung, daß „die Kinder schon irgendwie groß werden“. Gerd Grosser hatte ein Werk von Wilhelm Reich geklaut und die Lektüre löste eine „kurze, heftige Zeit des Partnertausches aus, doch das war schnell vorbei. Daß Sex nicht der Weg sei zu einem korrekten politischen Bewußtsein, darin war man sich mit dem Westberliner SDS einig. Auch ohne voneinander zu wissen. Die Kommune nahm sich statt dessen vor, die 14bändige Marx-Engels- Ausgabe zu lesen und fing mit Band eins an.
In der Galerie sieht ein West-68er deprimierende Parallelen zu der Zeit, als sich die ersten K-Gruppen im Westen bildeten: „Verflachung der Theorie, alle sollten wieder heiraten, Ablehnung der Psychoanalyse“, erinnert er sich.
Arbeitspläne bis auf die Minute genau
Die Ostkommunarden stellten fürs Wochenende Arbeitspläne auf, die „bis auf die Minute ausgefeilt waren, inclusive der zehn Minuten Pause.“ Hobbys galten als kleinbürgerlich und wurden abgeschafft, Musik hören verboten sie sich. Keine Zeit für belanglose Privatheiten zu haben, galt als Pflicht. „Wer sein Herz dem Klassenkampf verschrieben hat, hat keine Zeit.“ Was nicht diesem Ziel diente, fiel unter Müßiggang. Labsch erinnert sich, daß sie im Flur einen Wandspruch aufhängten, der Programm wurde: „Wer sich selbst nicht findet, der soll Arbeit suchen.“
Das wenigstens war leicht. Gerd Grosser fing an als Arbeiter im VEB Elektro-Kohle zu arbeiten, Labsch und Berthold arbeiteten im VEB Werk für Fernsehelektronik in der Gütekontrolle. Dem Meister stellte sich Labsch mit den Worten vor: „Wir wollen hier eigentlich nicht arbeiten, wir wollen politisch arbeiten. Und darum wollen wir hier arbeiten.“ Da es dem Werk gerade an Arbeitskräften mangelte, wurden sie trotzdem genommen.
Am Tag ihres Arbeitsantrittes meldeten sich die Kommunarden sofort bei der FDJ, was diese ausschließlich mit Mißtrauen erfüllte. FDJ-Arbeit war üblicherweise etwas, vor dem sich der normale Mensch drückte. Gewohnt, mit widerspenstigen Arbeitern umzugehen, die man zu ihrem Glück zwingen muß, war den Funktionären diese leidenschaftliche Hingabe unheimlich.
Kampf gegen die West-Plastetüten
In seinem Betrieb stellte Labsch unwillig fest, daß die Arbeiter ihre Stullen in West-Plastetüten mitbrachten. Sein Versuch, die Tüten gegen heimische auszutauschen endete mit einer schweren Niederlage. Die Parteileitung pfiff ihn zurück und die Arbeiter lachten ihn aus. Doch es gab genug andere Aufgaben. Die Kommunarden kämpften gegen Schlamperei, Korruption und versuchten, die Norm hochzuschrauben und manchmal hatten sie Erfolg. Sie müssen sensationell unbeliebt gewesen sein.
Sie schmissen sich der Partei vor die Füße, waren verzweifelt über das ungerechtfertigte Mißtrauen und bis in die Knochen durchdrungen von dem Bewußtsein, die eigentliche Elite darzustellen. In dem Bestreben, den Funktionären klar zu machen, „daß wir das gleiche wollten wie sie“, beschloß das Kollektiv, sich für die Kontrollorgane durchsichtig zu machen. Mit dem neuesten, von der Gruppe verabschiedeten Statement zum gegenwärtigen Stand des revolutionären Bewußtseins in der Hand, „rannte alle zwei Wochen einer von uns zum Bezirksgericht oder der Staatsanwaltschaft um das Papier abzugeben“. Gleichzeitig schlossen sie ihre 71 Westbücher in einem eigens dafür angeschafften Giftschrank ein, damit Besucher nicht ohne ihre Einwilligung heran konnten.
Labsch erzählt diese Dinge, erspart sich nichts und grübelt, wie es möglich war, daß sie stolz darauf waren, sich gegenseitig ständig Rechenschaft ablegen zu müssen.
Sie hatten keine Kontakte zu anderen Kommunen, die es am Prenzlauer Berg gab und Kontakte zu Westgruppen oder Informationen über westliche K-Gruppen wollten sie nicht. Bis Mitte der achtziger Jahre hätten sie auch nicht mit Leuten in der Kirche zusammengearbeitet, sagt Labsch. Und er sagt: „Leute, die verhaftet wurden, standen uns nicht nahe.“ Was die sicherste Art war, Konflikte zu verhindern.
Das gibt es nur in der DDR
1973 gaben sie auf. Die kommunale Wohnungsverwaltung bot ihnen trotz Wohnungsmangel mehrere kleine Wohnungen an und die Möglichkeit zu studieren, was Labsch, dem inzwischen klar war, wie stumpfsinnig der klassische Arbeiteralltag sein kann, als ausgesprochen großzügig empfand: „Ich war regelrecht dankbar, daß ich mit 27 Jahren, nach all den Wirren und mit zwei Kindern, nochmal studieren durfte. Ich dachte damals: Das gibt's nur in der DDR.“
Grosser ging zur Armee, Frank Havemann studierte Physik, Labsch Philosophie. Rückblickend sagt er: „Man muß den Mut haben, zuzugeben, daß man sich in bestimmten Leuten geirrt hat. Die machten bei uns zufällig die Partei aus. Und so arrogant bin ich heute noch, daß ich sage, die haben es nicht verdient, daß wir uns für sie aufgeopfert haben.“
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