Ansammlung von Kaufhäusern mit Autos

■ Walther-Schreiber-Platz: Angelehnt an amerikansiche »shopping malls«/ Alle Bauten im Stil der Hauptsache-praktisch-Architektur/ Besenrein wird der Platz um 19 Uhr der Nacht übergeben

Steglitz. Um den Walther-Schreiber-Platz an der Grenze zwischen Friedenau und Steglitz als Platz identifizieren zu können, bedarf es schon des Abstraktionsvermögens. Dabei ist kaum ein Berliner Platz derart gut beschildert wie dieser: Drei U-Bahn- Ausgänge tragen seinen Namen, und ein abgasverschmuddeltes Fünfeck aus Hinweisschildern inmitten des Platzes versucht die namentliche Identität des Platzes zu behaupten. Jedoch, alles, was wir sehen, ist eine große Straßenkreuzung, an der sich Bundesallee und Rheinstraße zur Schloßstraße vereinen.

Um die Jahrhundertwende ging es hier, an der Grenze zu Schöneberg und Steglitz, noch beschaulich zu. Dann kam als Hauptverkehrsmittel eine schwerfällige Dampfstraßenbahn aus der Bundesallee (früher Kaiserallee) auf den Platz geschnauft. Es liefen, so der Chronist Alfred Heilborn, aber noch Hasen über die Schloßstraße. Der Wechsel vom dörflichen Friedenau zum Großstadtviertel vollzog sich in den zwanziger Jahren und erweckte damals in Heilborn den Eindruck »eines dicklichen Jungen, dessen zu kurzer und zu enger Anzug, prallgestopft wie eine Wursthaut, in allen Nähten kracht, wenn er sich bewegt«.

Heute scheint vor allem der endlose Verkehrsstrom den Walther- Schreiber-Platz zum Platzen zu bringen. Nicht nur ist die ehemalige Potsdamer Chaussee (Rhein-/Schloßstraße), die einst als Hauptfuhrverbindung zwischen Berlin und Potsdam war, immer noch eine wichtige Durchgangsstraße (B1), sondern auch eine der Haupteinkaufsstraßen Berlins. Am Walther-Schreiber- Platz beginnt der »Ku'damm der Berliner«, reiht sich ein Großkaufhaus an das nächste. Auf kürzester Strecke bietet die Schloßstraße somit ein überaus vielfältiges Warenangebot. Leider sind alle Warenhäuser im Stil der Hauptsache-praktisch-Architektur der sechziger und siebziger Jahre gebaut. Ihre Häßlichkeit ist bestechend.

Den Zweiten Weltkrieg überstanden

Der »Titania-Palast«, ein in den zwanziger Jahren im Stil der neuen Sachlichkeit erbautes ehemaliges Großkino, fügt sich harmonisch ins Ensemble ein. Dieses, direkt am Platz gelegene, Baudenkmal ist eines der wenigen Gebäude der Schloßstraße, die den Zweiten Weltkrieg unversehrt überstanden haben. Insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren diente es als Veranstaltungsort unter anderem für die ersten Berliner Filmfestspiele und für Aufführungen der Berliner Philharmoniker. Wo damals Josephine Baker tanzte (1957) und Maria Callas sang (1959), erklären heute die »hauswirtschaftlichen Elektroberaterinnen« der Bewag-Lehrküche den Umgang mit der neuesten Geschirrspülmaschine oder Gefriertruhe. Der Sprung ins Glück — so lautete der Titel des Films, der 1928 den Kinobetrieb eröffnete — wurde in den sechziger Jahren zum kulturellen beziehungsweise finanziellen Bauchplatscher. Aus dem Ort der Kultur wurde ein Geschäftshaus.

Von vorneherein als solches konzipiert worden ist das Forum Steglitz. Angelehnt an amerikanische »shopping malls« soll hier durch ein Nebeneinander von Geschäften und Gaststätten ein Einkaufen-und-sich- wohlfühlen-Effekt erzielt werden. Angesichts der Hektik und der Besuchermassen an manchen Tagen wirken die Tische und Stühle zwischen den Rolltreppen bisweilen eher wie rettende Inseln, zu denen sich die KäuferInnen, schwerbeladen durch die Menschenströme rudernd, mit letzter Kraft hinüberretten. Geplant worden war das »Multicenter« ursprünglich als Angebot an kleinere Geschäfte. Für die Markthalle im Erdgeschoß, die zwar nicht so schön wie die alten Markthallen, aber, der chronisch kranken Klimaanlage zum Trotz, ebenso lebendig ist, gilt dieses Konzept noch heute. In den oberen Etagen haben sich neben diversen Bekleidungsgeschäften vermehrt Großunternehmen breitgemacht. Dies macht den Einkauf nicht unbedingt erfreulicher. Denn auch die größte Auswahl, zum Beispiel an Hi-Fi-Geräten, nutzt herzlich wenig, wenn die Suche nach einem beratungswilligen beziehungsweise -fähigen Verkäufer zu einem ebenso großen Problem wird, wie die Auswahl des richtigen Geräts. Trotzdem ist der Andrang groß und legt sich erst dann, wenn der Marktleiter um 18 Uhr rigoros die Rolläden herunterläßt — was schon manchen zu einem ängstlichen Sprung veranlaßt hat. Dann ergießen sich die tütenbewehrten Menschenströme auf den Walther-Schreiber-Platz, verschwinden die Kaufberauschten in den U-Bahn-Eingängen wie Flusen in einem gigantischen Staubsauger.

Besenrein wird der Platz um 19 Uhr der Nacht übergeben. Als letzte Wächter der Konsumtempel bleiben nur die Wachmänner und manchmal auch der Kammerjäger auf Kakerlakenjagd zurück. Sonja Schock