EUROFACETTEN: Die Alten: Wieder in Mode
■ Pensionäre werden von ihren Enkeln neuentdeckt
In meiner Jugend, vor siebzig Jahren, war das Alter der Bestimmungsfaktor aller Entscheidungen. Nicht meine Eltern gaben den Ton an, sondern im Haus meine Großmutter und sonst der Großvater. Nach dem Krieg wurde das anders. Die Alten — und zu denen zählte bald auch ich mit erst sechzig Jahren — wurden zu „Gestrigen“. Je jünger, desto klüger, hieß es. Wir gerieten ins Abseits. Alter wurde zum Alptraum, sowohl für die Alternden als auch für diejenigen, die sich um sie kümmern mußten. Doch nun ändert sich manches zum Positiven. Noch in den achtziger Jahren bespöttelte man die regierende „Gerontokratie“ in der Sowjetunion, die es in Italien noch immer gibt. Doch die Witze über die „zähklebrigen Alten“ sind verstummt. Es zeigt sich eine grundlegende Wende.
So überprüft das Gesundheitsministerium zum Beispiel immer mehr Altenheime und sperrt verantwortungslose Leiter ein. Das ist nicht nur Wahlkampf — diese Tendenz gibt es schon länger. Mir fällt auf, daß sich immer mehr junge Leute um Rat an mich wenden. Pensionäre aus Heimen, die ich geleitet habe, fühlen sich von ihren Enkeln neuentdeckt. Bei Zeitungen wie 'il manifesto‘ sind vor kurzem „Babys“ auf die Chefredakteursposten gerückt: Journalisten mit kaum dreißig Jahren. Und was haben die als erstes getan? Sie haben sich mit den nach und nach ausscheidenden Alten verbündet, weil sie von ihnen lernen wollen.
Langsam reift bei vielen von uns die Überzeugung, daß die Marginalisierung der Alten lediglich die Frucht einer auch von uns falsch geführten Auseinandersetzung mit unseren Töchtern und Söhnen war — und keineswegs ein Phänomen, das einfach zur Wegwerfgesellschaft gehört. Die Weitergabe von Wissen aus dem Erleben der Alten an die Jungen kommt wieder in Mode. Möglicherweise haben dazu auch internationale Ereignisse beigetragen. Während des Golfkrieges wurden plötzlich wieder die Veteranen des Weltkriegs nach ihrer Meinung gefragt. Jungmanager, die man bisher für Yuppies gehalten hat, wenden sich an pensionierte Börsenfachleute um Rat. Die italienische Regierung erwägt, das Rentenalter von Richtern und Polizisten anzuheben — nicht um Personal zu sparen, sondern um Neueingestellte anlernen zu lassen. Vielleicht war die „Abschaffung des Alters“ nur eine an die Dummheit unserer Zeit gebundene Erscheinung.
Barbara Rossi, Rom
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