Tatendrang mit Hindernissen

■ Heidelberg will in die Kulturoffensive gehen

Es scheint nicht so recht in die Zeit zu passen. Aber ausgerechnet jetzt, wo viele deutsche Städte aus Geldmangel ihren Kul- turetat kürzen müssen, geht Heidelberg in die Offensive. Aus gutem Grund. Als die neue Oberbürgermeisterin Beate Weber (SPD) ihr Amt antrat und frischen Wind für die Stadt versprach, hinkte man in Sachen Kultur gut und gerne zehn Jahre hinterher. Ein Kulturamt etwa, für eine Stadt in dieser Größenordnung selbstverständlich, wird erst jetzt eingerichtet. Aber die Anzeichen für einen Kulturfrühling in Heidelberg häufen sich. Bereits in zwei Jahren soll ein ehemaliger Bahnhof zum Kulturzentrum umgebaut sein (ob dezentrale Lösungen für die einzelnen Kulturgruppen nicht sinnvoller wären, wird nicht diskutiert). Die potentiellen Betreiber, angefangen vom „Jazzclub“ über das „Filmforum“ bis zum „Eine Welt Zentrum“, sitzen am städtischen Verhandlungstisch und haben in gutdeutscher Tradition zuerst einmal einen Verein „AK Raumbedarf für soziokulturelle Aktivitäten“ gegründet. Die halbe Stadtverwaltung treibt sich zur Zeit angeblich in Kellern und Katakomben herum und verhandelt mit privaten Eigentümern wegen möglicher kultureller Nutzung dieser Räume. Einer von ihnen soll für eine eigenständige Kleinkunstbühne genutzt werden.

In Heidelberg und Umgebung hat sich eine attraktive Kabarettszene niedergelassen; man will eine professionelle Bühne betreiben und zeigt mit Veranstaltungen in wechselnden Räumen und Gästen wie Jochen Busse, Matthias Beltz, Elke Heidenreich und Gerhard Polt, daß man nicht in engen Heidelberger Grenzen denkt. Ob sich solch eine Kleinkunstbühne finanziell tragen kann, wird sich zeigen — wichtig für Heidelbergs Klima wäre sie, denn die kurpfälzische Kulturreise könnte sonst durchaus in unwirtliche Regionen führen. So stand eine öffentliche Podiumsdiskussion unter der Leitfrage, ob ein (noch zu schaffendes) Heidelberger Kulturprofil auch als Touristenmagnet dienen könne. Man liegt im Trend der Zeit, wenn man Kunst und Kultur mit Blick auf ihre Effizienz als Lockvogel definieren möchte. Denn auch Heidelberg will in den Konkurrenzkampf der Städte als attraktiver Kongreßstandort einsteigen. Dabei sollte man es besser wissen, schließlich liegt Mannheim vor der Haustür. Dort setzt man inzwischen auf eine Kongreß-Unkultur, kombiniert mit dem „Phantom der Oper“, während gleichzeitig die gewachsenen Kulturinstitutionen der Stadt verkommen. Nichtsdestotrotz laufen in Heidelberg die Planungen für ein Kongreßzentrum an, weil man frommer Hoffnung meint, durch Touristen und Kongreßbesucher fließe investiertes Geld nach Heidelberg zurück. Dies bezeichnete der Nürnberger Ex-Kulturdezernent Hermann Glaser bei einer Diskussion als Milchmädchenrechnung, da bisher keine der neuen „Kongreßstädte“ die Wirtschaftlichkeit ihres Kurses mit Zahlen belegt habe. In Heidelberg gibt es Zahlen, und die sprechen für sich: Der Beitrag des Tourismus zum Heidelberger Volkseinkommen liegt bei 4%, und nicht einmal jeder 20. der Beschäftigten findet in diesem Bereich einen Job. Sollte ein Kongreßzentrum gebaut werden, ist eines klar: Das Geld für die anvisierten Kulturprojekte wird knapp werden.

Ein Schauspiel künstlicher Aufgeregtheit liefern die Hobbypolitiker zur Zeit zusätzlich. Seit Jahren soll ein „Brentano-Preis“ für Nachwuchsliteraten vergeben werden. Bemerkenswerte 20.000 Mark stehen zur Verfügung, und ein Vorschlag für das Vergabeverfahren liegt ebenfalls auf dem Tisch. GermanistikstudentInnen und drei LiteraturkritikerInnen sollen den Preisträger ermitteln. Als Juroren im Gespräch sind der Heidelberger Journalist Michael Braun, Benedikt Erenz von der 'Zeit‘ und Elke Schmitter von der taz. Und es könnte auch losgehen, würde nicht einigen Herren von der CDU-Fraktion der Angstschweiß ausbrechen. Mit Grauen sehen sie es auf Heidelberg zukommen, daß demnächst tatsächlich eine leibhaftige taz-Redakteurin ins romantische Neckartal einreist. Jürgen Berger