piwik no script img

Geheimdienste: Sinnvoll und nützlich?

■ betr.: "Die journalistische Ethik des Rufmordes" (Der "Fall Wallraff" ist ein "Fall Mertes"), Kommentar von Michael Sontheimer, taz vom 13.2.92

betr.: „Die journalistische Ethik des Rufmordes“ (Der „Fall Wallraff“ ist ein „Fall Mertes“), Kommentar von Michael Sontheimer, taz vom 13.2.92

Eigentlich und ehrlich gesagt, lese ich Euch in letzter Zeit, bei allem aufrichtigen Wohlwollen, nur noch sporadisch. Ihr seid ein bißchen wie Rock'n'Roll — nicht tot, aber es riecht irgendwie nach Verwesung... Trotzdem bin ich immer wieder amüsiert, empört und (jetzt kommt's!) diesmal echt betroffen, denn bisher habe ich Geheimdienste für staatlich sanktionierte Irrenvereine gehalten, die für viel Geld Cowboy-und-Indianer-Spiele betreiben, von denen die meisten in einem Desaster enden und nicht selten einen Haufen unschuldiger Leute das Leben kosten.

Da les' ich Michael Sontheimers Kommentar und bin plötzlich ganz verwirrt. — Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie sinnvoll und nützlich Geheimdienste tatsächlich sind! Zum Beispiel: „Ohne die Erkenntnisse der CIA wäre die libysche Giftgasküche made in Germany bis heute nicht aufgeflogen“! Echt nicht? Spätestens, wenn ein paar tausend liebe Mitmenschen vergast worden wären, wohl doch. Aber das hätte eben eine ziemliche Masse Opfer gekostet — und da kann man doch froh sein, daß es verantwortungsbewußte Geheimprofis gibt, die, je nach Maßgabe, die eine oder andere Einzelperson, Gemeinschaft oder Regierung diskret und gegebenenfalls ein bißchen blutig aus dem Weg räumen, bevor Schlimmeres passiert. Außerdem — wo sollten denn ambitionierte Freunde des „investigativen Journalismus“ all ihre brisanten Informationen herkriegen?

Und wenn dann jemand wie Heinz Klaus Mertes, diese unsägliche öffentlich-bayerische Reinkarnation von Löwenthal und von Schnitzler, zwischen Ohren, die abstehen wie Pinocchios Nase nach dem Lügen, einem linken Flaggschiff wie Günter Wallraff lauwarm an den Rumpf pinkelt, merkt man eben erst, daß Geheimdienste eigentlich wirklich ganz prima sind. Wenn es um einen unserer besten Jungs geht, kommt uns selbst die CIA zupasse, und die Stasi ist auch nicht mehr sooo schlimm.

Andererseits, wenn Wallraff Kontakte zur Stasi hatte, dann sicher nur, um uns einen neuen erschütternd-investigativen Erlebnisbericht zu liefern, nämlich die ganzen üblen Machenschaften dieser Krake von innen aufzurollen — Titel: „Ich habe Mielkes Rotkäppchen genossen, Genossen“, oder — noch besser — „Ich war Markus' Wolf im Schafspelz“.

Nein, ehrlich, Michael Sontheimer — ich finde, jeder anständige Mensch, der halbwegs informiert sein will, sollte ein paar Kontakte zu einem Geheimdienst seines Vertrauens haben! Schließlich leben wir in einer Kommunikationsgesellschaft, nicht? Marius del Mestre, West-Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen