Zuviel Kripo stört das Ost-West-Monopoly

■ Seit gut anderthalb Jahren versucht die Berliner Kripo vergeblich, Verstärkung zu bekommen, um den neuen und alten Abzockern im Osten das Handwerk zu legen. Bei den dunklen Geschäften seit der ...

Zuviel Kripo stört das Ost-West-Monopoly Seit gut anderthalb Jahren versucht die Berliner Kripo vergeblich, Verstärkung zu bekommen, um den neuen und alten Abzockern im Osten das Handwerk zu legen. Bei den dunklen Geschäften seit der Wende ist der Bundeskasse womöglich eine zweistellige Milliardensumme durch die Lappen gegangen.

AUS BERLIN JÜRGEN GOTTSCHLICH

Sie kamen zwar nicht im Morgengrauen, aber immerhin mit großem Aufgebot: an 37 Orten gleichzeitig durchsuchten Berliner Kripobeamte am Mittwoch letzter Woche Büros und Privatwohnungen im gesamten Bundesgebiet. Ziel der Aktion waren die mecklenburgische Elbro Bau AG und die Bremer Karina-Investment-Gruppe. Beide Unternehmen stehen im Verdacht, die 100prozentige Treuhand-Firma Elbro Bau „ausgeplündert“ zu haben, wie es im Ermittlerjargon heißt.

„Ausplündern“ vollzieht sich in der Praxis folgendermaßen: Ein Aufsichtsratsmitglied der Baugruppe und ein Verantwortlicher aus dem Käuferkonsortium verschieben einvernehmlich 71 Millionen DM auf ein notarielles Sperrkonto. Dadurch gerät die Baugruppe finanziell in die Bredouille, ihr Kaufpreis sinkt. Um die Baugruppe zusätzlich in Liquiditätsschwierigkeiten zu bringen, vereinbart man mit den Kaufinteressenten unsinnige Beraterverträge, die aber die Kleinigkeit von 32,6 Mio. kosten. Um die Sache rund zu machen, beantragt die Baugruppe dann noch bei der Treuhand Bürgschaften für Bankkredite, die sie wegen der angespannten Finanzlage kurzfristig aufnehmen muß.

Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, kann in dem vorliegenden Fall gut und gerne ein Schaden von 100 Millionen Mark eintreten — Geld aus dem ehemaligen Volksvermögen der DDR, das an vielen Stellen dringend gebraucht würde.

Die Durchsuchung, an der rund hundert Kripobeamte beteiligt waren, war eine Aktion zur Bekämpfung der sogenannten Vereinigungskriminalität. Angefangen vom Transferrubel-Betrug bis hin zur Ausplünderung der ehemaligen Kombinate oder anderen Volkseigenen Betrieben boomt die Weiße-Kragen-Kriminalität in bislang ungekanntem Ausmaß. Eine zweistellige Milliardensumme ist der Bundeskasse bereits durch die Lappen gegangen, vermutet die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GDP) — Tendenz steigend. Deshalb, so der Berliner GDP-Vorsitzende Burkhard von Walsleben, würde sich der Einsatz der Kripo in diesem Bereich im wahrsten Sinne des Wortes lohnen. Abgesehen von der Pflicht zur Ermittlung würde jeder Kripobeamte dem Staat ein Vielfaches seiner Kosten wieder einbringen. Doch Aktionen wie die Durchsuchung im Falle Elbro Bau bleiben die Ausnahme. Seit nunmehr eineinhalb Jahren sieht sich die Berliner Polizei einem immer größer werdenden Aktenberg nahezu hilflos gegenüber, ein „nicht mehr zu überbietendes Trauerspiel“, wie von Walsleben verzweifelt stöhnt.

Aus anfänglichen Klagen wurde Resignation

Zur Bekämpfung der „Regierungs- und Vereinigungskriminalität“ wurde eine zentrale Ermittlungsgruppe eingerichtet, in die der Berliner Innensenator 130 Polizeibeamte abkommandierte. Darin aufgegangen ist der größte Teil der Kripo, die sich bislang mit Wirtschaftskriminalität in West-Berlin befaßt hat. Durch die Konzentration nahezu sämtlicher Kräfte auf diesen Bereich können in der Boomtown derzeit beispielsweise Immobilienhaie entsprechend ungehemmt zuschlagen. Trotzdem haben die Beamten gegen die neuen und alten Abzocker im Osten kaum eine Chance. „Allein aus dem Bereich der Treuhand bekommen wir jede Woche vier neue Fälle rübergereicht“, berichtet ein frustrierter Fahnder. Da würden etliche Millionenfälle an die Seite gelegt. Eine ganze Lagerhalle, so ein anderer Kripomann, habe man bereits mit den beschlagnahmten Akten aus diversen Durchsuchungsaktionen gefüllt. Doch nun sei niemand da, der sich da durcharbeiten kann. Verschiedene Firmen hätten bereits mit Schadensersatzforderungen gedroht, wenn sich ein Ermittlungsverfahren über Monate hinziehe.

Aus den anfänglichen Klagen und der daraus folgenden Empörung über die ausbleibende Unterstützung durch den Bund und andere Länder ist mittlerweile kopfschüttelnde Resignation geworden. Vor nunmehr fast einem Jahr hat die Innenministerkonferenz der Länder die Bekämpfung der Vereinigungskriminalität zu einer „nationalen Aufgabe“ erklärt, die nicht allein an Berlin — das nach dem Tatortprinzip formal zuständig ist — hängenbleiben kann. Ad hoc sollten aus verschiedenen Landeskriminalämtern 35 Wirtschaftsspezialisten zur Unterstützung nach Berlin geschickt werden; bis Ende des Jahres waren endlich 21 angekommen. Um auf das Problem adäquat reagieren zu können, sind nach übereinstimmender Einschätzung zwischen Bund und Ländern rund 500 Beamte notwendig. Doch die gibt es nicht; zumindest ein Teil davon sitzt statt dessen im Bundeskriminalamt in Wiesbaden und möchte dort auch sitzen bleiben. „Wenn es jemals eine Situation gegeben hat, in der sich der Einsatz des Bundeskriminalamtes aufdrängte, dann die besondere Situation nach der Einheit“, meint der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Gerd Wartenberg. Statt dessen entdecken das BKA und das Bundesinnenministerium plötzlich die Vorzüge des Föderalismus. Ausgerechnet das BKA, das sich sonst bei jeder unpassenden Gelegenheit übergangen fühlt, hat bei einem Einsatz in Berlin verfassungsrechtliche Bedenken, da dadurch ja die Länderhoheit der Polizei in Frage gestellt werden könnte. Öffentlich zu der Frage Stellung nehmen möchte die Bundespolizei schon gar nicht. „Das ist für uns kein Thema“, war alles, was die taz in Wiesbaden erfahren konnte. Das sei Angelegenheit der Politik.

Die hat sich denn auch im September letzten Jahres erneut auf einer Innenministerkonferenz (IMK) mit der Frage befaßt und war tatsächlich mehrheitlich zu der Auffassung gelangt, die Länder sollten noch einmal einen zweiten Anlauf ohne das BKA machen. Während die Bundes-SPD in Bonn sich die Forderung ihrer Berliner Vertreter zu eigen gemacht hat, das BKA solle gefälligst die Federführung bei den Ermittlungen zur Regierungs- und Vereinigungskriminalität übernehmen, beschloß die IMK unter Vorsitz des saarländischen Innenministers Läpple (SPD) die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die erst einmal den Bedarf in Berlin ermitteln soll.

In dieser Arbeitsgruppe, zu der die Innenstaatssekretäre aus Bayern, Niedersachsen, NRW, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin gehören, einigte man sich gegen den Widerstand aus Berlin darauf, daß bei einem Gesamtbedarf von 480 Beamten 210 aus den alten Bundesländern abgestellt werden sollen. Für die verbleibenden 270 sei Berlin zuständig. Ein Vorschlag, den die Berliner Polizeiführung als Zumutung zurückweist. Es sei völlig undenkbar, zu den 130 bereits eingesetzten Beamten nochmals 140 aus anderen Bereichen abzuziehen. Eine Entscheidung soll nun die Innenministerkonferenz im Mai bringen. Bis dahin passiert erst mal das bereits Übliche, nämlich gar nichts.

Selbst ausgewählte Einzelermittlungen will das BKA den Berlinern nicht abnehmen. Ende Dezember '91 bat die Berliner Kripo um Übernahme eines Verfahrens, in dem acht Personen beschuldigt wurden, ein von der Treuhand verwaltetes Unternehmen in Leipzig um 100 Mio. DM erleichtert zu haben. Nach sieben Tagen ging in Berlin ein Telex aus Wiesbaden ein, in dem lapidar mitgeteilt wurde, eine Übernahme des Verfahrens sei wegen Personalmangels leider nicht möglich. Als noch skandalöser empfand die Berliner Polizei die Weigerung des BKA, im Falle Robotron tätig zu werden. Der ehemalige Elektronik-Musterbetrieb der DDR ist nach den Vorermittlungen ein Sammelbecken alter Stasi-Seilschaften, denen Transferrubel-Betrug und andere Unterschlagung in Höhe von rund 45 Mio. DM vorgeworfen werden. Trotz persönlicher Intervention des Berliner Polizei-Vizepräsidenten Schenk stellte das BKA sich im Januar einfach taub. Erst nach einer Mahnung ging in Berlin das bekannte Formblatt „wg. Personalmangel leider nicht möglich“ aus Wiesbaden ein. Seitdem wird in einschlägigen Kreisen ernsthaft darüber spekuliert, was eigentlich hinter dieser systematischen Arbeitsverweigerung steckt. Allein das private Interesse von BKA-Beamten, nicht von Wiesbaden nach Berlin abgeordnet zu werden, kann kein Grund für die Weigerung sein. Auch die Abneigung des BKA-Präsidenten Zachert, in dem ganzen Komplex Verantwortung zu übernehmen, dürfte als Erklärung nicht ausreichen. Wartenberg, der im Innenausschuß des Bundestages immer wieder Druck zu machen versucht, hat vielmehr den Eindruck, daß Zachert aus Bonn gedeckt wird. Auf wiederholte Anfragen reagierte die Bundesregierung mit zunehmendem Unwillen. „Der Neusel“, so Wartenberg, „fühlte sich bei unserem letzten Vorstoß im Innenausschuß zutiefst belästigt.“

Merkwürdigerweise ist auch die Law-and-order-Fraktion der CDU/ CSU völlig auf Tauchstation gegangen. Das ansonsten nicht für übermäßige Zurückhaltung bekannte Unionsmitglied des Innenausschusses, Johannes Gerster, wollte sich lieber nicht äußern. Und auch in seinen Presseerklärungen ist die Empörung von Anfang letzten Jahres einem gemäßigten Kammerton gewichen. Anfang Dezember stellte er zum Komplex Vereinigungskriminalität nur noch fest: „Nüchtern betrachtet muß man sehen, daß selbstverständlich auch das BKA zur Bewältigung dieser Aufgabe Personal- und Infrastruktur brauchen würde, die es zur Zeit nicht hat. Es müßte eine leistungsfähige Außenstelle aufgebaut werden. Insoweit müßte das BKA ein Stück weit wieder beim Stande Null beginnen, während in Berlin immerhin schon Grundstrukturen zur Verbrechensbekämpfung vorhanden sind. Dies alles spricht dafür, daß es sich bei der Aufgabenübertragung auf das BKA nur um die zweitbeste Lösung handeln kann.“

In einer ähnlichen Situation Anfang der 70er Jahre war die „zweitbeste Lösung“ ohne große Diskussion schnell zur Hand. Damals übertrug der Bundesinnenminister dem BKA pauschal alle Ermittlungen in Terrorismus-Fällen — was in Wiesbaden dankbar zur Aufblähung des Apparats genutzt wurde. Berliner Kriminalisten vermuten hinter der jetzigen Zurückhaltung denn auch ganz andere Motive. Immerhin würden bei den Verteilungskämpfen um das ehemalige DDR-Volksvermögen ja auch etliche renommierte West- Konzerne zu den Gewinnern zählen: Unternehmen, die alle regelmäßig ihre Parteispenden abführen. Zuviel Kripo wäre bei dem Monopoly nur störend. Man könne das Ganze doch auch als eine Art versteckte Subventionspolitik betrachten. Verlierer dieser Art Wirtschaftsförderung sind die Ossis, die gehofft hatten, von ihrem Volksvermögen auch etwas abzubekommen — sei es wenigstens einen Arbeitsplatz.

Solche Überlegungen sind dem Bundesinnenministerium völlig fremd. „Kurzfristig“, so gab ein Sprecher zu bedenken, „ist der Einsatz des BKA sicher verlockend, könnte es wie eine Erlösung wirken. Das große Heulen kommt später, wenn die Länder merken, daß sie Kompetenzen abgegeben haben.“