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Ruckartiger Schnitt

■ Heute startet Martin Scorseses Thriller „Cape Fear“. Mit der Cutterin Thelma Schoonmaker sprachen Lars-Olav Beier und Gerhard Midding

Beier/Midding: Mrs. Schoonmaker, ich brenne darauf, zu erfahren, wann Sie den zweiten Teil der Lebenserinnerungen Ihres Mannes, Michael Powell, herausgeben werden.

Thelma Schoonmaker: Ich habe die Arbeit daran gerade beendet, das Buch wird im November in London erscheinen. Wie beim ersten Band hat es mir Michael diktiert — er konnte kaum noch sehen und deshalb mußte ich seine Erinnerungen mit der Schreibmaschine transkribieren. Den ersten Band haben wir noch gemeinsam revidiert. Als Michael starb, hatten wir den zweiten Band noch nicht einmal zu einem Drittel durchgesehen. Den Rest mußte ich allein revidieren, was nicht einfach war, denn im Verlauf der fünf Jahre, in denen er mir das Buch diktiert hatte, wiederholte er sich gelegentlich, und es fiel mir schwer, diese Stellen herauszukürzen, ohne seinen sehr komplizierten Stil anzutasten. Aber Scorsese und Ian Christie vom British Film Institute waren sehr hilfreich.

Welchen Zeitraum wird das Buch abdecken? Von „The Red Shoes“ bis zu seinen letzten Lebensjahren?

Ja. Interessanterweise schreibt er nicht viel über die guten Zeiten. Aber erschreibt sehr schön über die Phase, in der er in Vergessenheit geriet, nachdem Peeping Tom seine Karriere quasi beendet hatte. Wie Marty (Scorsese) ihn dann findet, ist wunderschön beschrieben. Michael hatte keine Ahnung, daß diese Generation junger Regisseure seine Abeit so gut kannte und so hoch einschätzte. Er war verarmt, niemand in der britischen Filmindustrie gab noch einen roten Heller für ihn. Aber nachdem er Marty getroffen hatte, „begann mein Blut wieder schneller durch meine Adern zu pulsieren“, wie er es schreibt. Über die Zeit danach, als er wiederentdeckt und rehabilitiert wurde, schreibt er allerdings überraschend wenig. Das wird vielleicht manchen enttäuschen. Aber es grenzt überhaupt an ein Wunder, daß er das Buch noch beenden konnte. Es war so, als habe er seine Krankheit gerade lange genug in Schach gehalten, um die Arbeit zu beenden. Und ich bin sicher, daß Sie das Buch sehr mögen werden: es steckt voller Humor, voller verblüffender und auch schockierender Gedanken.

„Cape Frear“ ist eine wunderbare Gelegenhgeit, um über die Powell-Einflüsse auf Scorsese zu sprechen. Vor allem „Black Narcissus“ scheint mir ein wichtiger Referenzpunkt zu sein.

Absolut richtig. Diesen Film hat er ganz bewußt evoziert. Die „Rotblende“, die Szene, in der die ganze Leinwand sich rot färbt, ist eine ganz bewußte Anspielung auf diesen Moment in Black Narcissus, in dem die Nonne ohnmächtig wird. Eine ganz direkte Hommage. Ein weiteres Zitat stammt aus The Elusive Pimpernel: das Feuerwerk, auf das er immer wieder schneidet, als Cady auf der Gartenmauer sitzt.

Tatsächlich steckt Michael Powell in jedem Scorsese-Film. Marty hatte immer ein wenig Angst, Michael die Filme zu zeigen: er befürchtete, daß der die Filme nicht mögen könnte. „Was soll ich nur machen, wenn sie ihm nicht gefallen? Am liebsten würde ich mich dann umbringen!“ (lacht) Aber ich bedrängte ihn regelmäßig, ihm die Schnittfassungen zu zeigen, denn Michaels Anregungen und Beobachtungen waren immer sehr, sehr hilfreich. Goodfellas hat er leider nicht mehr zu sehen bekommen, da hat Marty zu lange gewartet und am Ende war er schon zu krank. Ich sagte Marty, wie sehr ich das bedauerte, aber er erwiderte: „Das macht nichts, denn Michael steckt im ganzen Film.“

Powell war ein solch herausragender Farbfilmregisseur. Wie kam es dazu, daß er Scorsese bei „Raging Bull“ zu Schwarzweiß riet?

Michael liebte Main Streets. Er fand, das sei einer der größten Filme aller Zeiten. Er bat Scorsese und De Niro, ihm die Drehorte in Lower Manhatten zu zeigen. Bob trainierte dort gerade für seine Rolle als Boxer und sie sahen sich bei der Gelegenheit Videobänder vom Training an. Michael sagte: „Mit den roten Boxhandschuhen stimmt was nicht. Die sind irgendwie nicht richtig.“ Und Marty wurde plötzlich klar: „Du hast recht: der Film sollte in Schwarzweiß gedreht werden!“ Michael war sich der Farbe zwar sehr bewußt, aber für ihn war Schwarzweiß eigentlich das Wahre, das Rückgrat.

Solche Sachen passierten sehr häufig. Michael und er sprachen ständig über Filme. Es war beispielsweise auch Michaels Idee, After Hors so zu beenden. Wir hatten keinen Schluß, jeder hatte eine andere Idee, wie man es machen sollte. Spielberg schlug vor, sie sollten in einem Ballon fliehen (lacht). Aber Michael sagte: „Er muß zurückkehren, er muß den Kreis schließen.“ Die Beiden hatten eine großartige Beziehung, und es war schön für mich zu sehen, wie sie sich entwickelte. Aber sie war nicht unkompliziert. Marty sagte oft: „Manchmal würde ich einfach nur gern mit ihm zusammensitzen und Quatsch reden. Aber ich kann nicht, ich habe zuviel Ehrfurcht vor ihm.“ Aber beide haben sich sehr geliebt. Und das Buch ist Marty gewidmet.

Im Gegensatz zu allen früheren Filmen, an denen Scorsese und Sie gemeinsam gearbeitet haben, ist „Cape Fear“ ein sehr linear erzählter Genrefilm. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?

Marty hatte große Probleme bei diesem Film. Er wollte ihn eigentlich gar nicht machen, aber man redete auf ihn ein und schließlich war er sogar bereit, ohne fertiges Drehbuch zu drehen. Er mochte vor allem die Beschränkungen nicht, die ein starker Plot mit sich bringt. So etwas langweilt ihn; ihn interessieren nur die Charaktere. Deshalb lassen wir meist als Erstes den Plot links liegen. Das haben wir hier auch versucht: uns in die Charaktere vertieft und alles andere vergessen. Bei diesem Film ging das aber nicht, und das machte uns ganz verrückt. Das Publikum konnte uns nicht mehr folgen. Wie kommt Cady zum Beispiel zurück aufs Boot? Wen zum Teufel interessiert das? Nun, das Publikum bei den ersten Previews interessierte es brennend, die wollten das unbedingt sehen. Also mußte Marty etwas machen, was er sonst kaum tut: er mußte nachdrehen. Er drehte eine Einstellung, in der die Hand aus dem Wasser kommt und nach dem Seil greift. Kann irgendjemand eine solche Einstellung glauben? Aber das Publikum liebte sie!

Bei aller Geradlinigkeit sind Sie aber durchaus Ihren alten Techniken treu geblieben, zum Beispiel verwenden Sie viele „jump cuts“. Ich denke etwa an die Szene, in der man Mitchum auf dem Korridor sieht, Schnitt, und schon ist er im Krankenzimmer.

(lacht schallend) Da gibt es einige der erstaunlichsten Schnittfolgen der gesamten Filmgeschichte! Ziemlich wild und nervös. So etwas haben Marty und ich schon immer gemocht, das war ein sehr direkter Einfluß der Nouvelle Vague. Unsere Schnittmethoden unterscheiden sich sehr von dem, was üblicherweise in Hollywood akzeptiert wird. Dort muß der Schnitt unauffällig, geradezu unsichtbar sein. Eine der großen Cutterinnen, Carol Littleton, sagt beispielsweise, daß sie es nicht mag, wenn ihr jemand Komplimente über ihren Schnitt sagt, denn für sie sollte er unsichtbar sein. Wir aber wollen, daß er ruckartig ist und auch dynamisch. Meist macht man so etwas, um Zeit zu sparen. Wie Ihr Beispiel zeigt: es dauert einfach zu lange, wenn Mitchum einen Gang entlanggeht, eine Tür öffnet und einen Raum betritt. So etwas machen wir durchaus sichtbar, es soll ins Auge springen. Marty und ich mögen das, aber für viele Cutter wäre das ein sehr, sehr schlechter Schnitt! (lacht)

Marty war schon immer ein brillanter Cutter. Das ist sein Lieblingsbereich, denn dort hat er die größte Kontrolle. Beim Drehen kann das Tageslicht verschwinden, ein Schauspieler kann krank werden, man sieht dem Produzenten an, wie er rechnet, daß ihn jede Sekunde zweitausend Dollar kostet. Im Schneideraum aber kann sich Marty konzentrieren, dort gibt er dem Film seine endgültige Form. Er sieht zu, daß er alle Einstellungen dreht, die er braucht. Oft nimmt er aber auch keine „coverage“ auf, als Großaufnahmen oder Halbtotalen, um sich beim Schnitt abzusichern. Das macht er nicht, um sich später keine Entschuldigung zu liefern, seine ursprüngliche Idee beim Schnitt zu verraten. Er dreht selten, fast nie „master shots“, Totalen, mit denen die meisten Regisseure ihre Szenen begannen. Auch das ist Michaels Schule, der nie eine Szene mit einem „master shot“ begonnen hat.

Es ist überraschend, wie statisch die Verführungszene in „Cape Fear“ ist: es gibt keine komplexen Kamerabewegungen, keine raschen Schnitte.

Diese Szene war der einzige Grund, aus dem Marty sich bereiterklärte, den Film zu machen. Wenn Sie sich an das Original erinnern: das Mädchen geht in die Schule, sieht bedrohliche Schatten an der Wand und rennt dann fort: „Ich hasse diese Szene!“ sagte Marty ständig, und er hat recht: kann man sich eine konventionellere Szene vorstellen? Marty wollte von Anfang an eine ganz andere Art von Konfrontation. Sie sollte eine stark psychologische Note besitzen, es sollte eine Verführung werden. Für mich ist diese Szene die raison d'être des Films. Und da würde man nun wirklich aufregende Bewegungen und schnelle Schnitte erwarten. Nein, das genaue Gegenteil: halbnahe Einstellungen, noch nicht einmal Großaufnahmen, nur zwei Kamerapositionen, statische Einstellungen. Er wußte, daß die Szene gut geschrieben war, und es ging nur darum, die Schauspieler in die richtige Stimmung zu bringen. Denn die Szene baut völlig auf die Schauspieler. Keine Tricks beim Schnitt, es ging nur darum, die Szene richtig auszuleuchten und die Schauspieler zu inspirieren. Und dann darum, zu beten, daß sie die Szene neun Minuten lang ohne Fehler spielen!

Der erste Take war brillant: De Niro traf augenblicklich die richtige Note, das Mädchen war ihm sehr schnell ebenbürtig: Man erzählte mir, daß auf dem Set absolute Stille herrschte: Die Crew war wie gebannt, weil sie merkten, daß da eine ganz wunderbare Sache passierte. Danach wurden noch sechs weitere Takes gedreht, aber keiner kam an den ersten heran. Schon als wir die ungeschnittenen Muster sahen, waren wir wie hypnotisiert. Und die Sequenz besteht fast völlig aus dem Material vom ersten Take. Eine Replik von ihr — nachdem er sie fragt, ob er den Arm um sie legen darf —, stammt aus einem späteren Take. Da zeigt sich, was für ein großartiger Regisseur er ist: er weiß genau, was dem Stoff nützt, er braucht keine Tricks und er kann sich auf seine Schauspieler verlassen.

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