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Neue Nachbarschaft polarisiert die CSFR

■ Nach langer Debatte über umstrittene Punkte wird der deutsch-tschechoslowakische Vertrag nun offiziell unterzeichnet. Ausgeklammert wurden allerdings die Eigentumsforderungen der nach dem...

Neue Nachbarschaft polarisiert die CSFR Nach langer Debatte über umstrittene Punkte wird der deutsch-tschechoslowakische Vertrag nun offiziell unterzeichnet. Ausgeklammert wurden allerdings die Eigentumsforderungen der nach dem Zweiten Weltkrieg „ausgesiedelten“ Sudetendeutschen.

Die Bewohner des westböhmischen Grenzstädtchens Cheb hatten am Montag nachmittag andere Sorgen, als gegen den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag zu demonstrieren. Der Unternehmerverband hatte geladen, um gegen den „wachsenden Einfluß“ eines seiner Mitglieder zu demonstrieren: Frantisek Linda soll, so weiß die Regionalzeitung 'Grenzlandbewohner‘ zu berichten, nicht nur Herr über rund 30 Aktiengesellschaften sein. Zugleich ist er auch Bürgermeister von Cheb. Daß die Vermutungen, er habe seinen Einfluß wohl nicht nur einmal zugunsten seiner Unternehmertätigkeit ausgenutzt, zumindest teilweise ins Schwarze getroffen haben dürften, zeigt ein bisher in der nachrevolutionären Tschechoslowakei einmaliges Ereignis: Nach einem Gespräch der Chefredakteurin des 'Grenzlandbewohner‘ mit einem Mitglied des Linda-Imperiums wurde die gesamte Auflage der Zeitung eingestampft.

Doch auch wenn in Cheb bisher keine Demonstration gegen den Vertrag stattfand — die Unstimmigkeiten, die seit einigen Monaten die Beziehungen der beiden Nachbarn bestimmen, sie sind auch im ehemaligen Egerland allgegenwärtig. Da ist zunächst der „Fall Linda“ selbst. In den Aktiengesellschaften haben deutsche Unternehmer entscheidende Anteile, der 'Grenzlandbewohner‘ wird ebenso wie die Tageszeitung 'Unsere Wahrheit‘ von einem deutschen Verlag herausgegeben. Kein Wunder, daß sich die Cheber nicht von Deutschen vorschreiben lassen wollen, „was wir über Deutsche lesen dürfen“.

Und dann ist da die Stadt. Im 11.Jahrhundert von deutschen Kaufleuten gegründet, war Eger (Cheb) trotz seiner Zugehörigkeit zur böhmischen Krone stets eine deutsche Stadt. Hoch über dem Ohre-Fluß thront die kaiserliche Pfalz Friedrich Barbarossas, im Stadthaus ließ Kaiser Ferdinand II. 1634 seinen aufmüpfig gewordenen Feldherrn Albrecht von Waldstein ermorden, in dem nach ihm benannten Haus schrieb Schiller hierüber seine Wallenstein-Trilogie. Der Reichtum, den die Eger Bürger im letzten Jahrhundert anhäuften, kommt in unzähligen, für die mittelalterliche Stadt geradezu überdimensioniert erscheinenden Palästen im Stil der Gründerzeit zum Ausdruck.

Die „Wende“ kam 1945. 800.000 Egerländer wurden „ausgesiedelt“, ihre Dörfer verfielen, in die Städte zogen Tschechen, Slowaken, Roma. In Cheb leben heute noch 300 bis 400 Deutsche; vor wenigen Monaten haben sie eine Ortsgruppe des „Verbandes der Deutschen“ ins Leben gerufen. Doch Marie Lippert, eine der Gründerinnen, ist sich nicht sicher, „ob das eine gute Idee war“. Als Sozialdemokratin bereits vor dem Münchner Abkommen aus der Stadt geflohen, vertritt sie die Ansicht, daß die Vertreibung eine verständliche Reaktion der Tschechen auf den „Nazismus“ ihrer deutschen Mitbürger war. „Wenn“, so Frau Lippert nachdenklich, „wir uns jetzt wieder organisieren, könnte das den Unwillen der Tschechen hervorrufen“. Nicht gut zu sprechen ist sie auch auf die Sudetendeutsche Landsmannschaft. Ihre ständigen Besitzansprüche würden zunächst den noch in der CSFR lebenden Deutschen schaden. Außerdem hat sie Angst, daß „die uns nun ihre Sicht der Geschichte aufdrängen“. Diese aber beginne erst mit der Vertreibung 1945. „Das an den Tschechen im Protektorat begangene Unrecht, das sehen die nicht.“

Und so hat sich der Cheber Verband der Deutschen in einem offenen Brief dann auch von den Besitzansprüchen der Sudetendeutschen Landsmannschaft distanziert. Gleichzeitig richtete er an die Tschechen jedoch auch eine rhetorische Frage: „Wenn jetzt wieder über die Angst vor den Deutschen geschrieben wird, warum biedern sich dann so viele Tschechen bei den Deutschen auch dort an, wo das gar nicht nötig wäre?“

Eine solche Erniedrigung sieht Marie Lippert zum Beispiel in der Abwertung der Krone gegenüber der D-Mark durch Finanzminister Václav Klaus. In diesem Punkt ist sie sich einig mit Valtr Komarek, dem Spitzenkandidaten der tschechoslowakischen Sozialdemokraten. Der Ökonomieprofessor war ebenfalls am Montag nach Cheb gekommen, um im Vorwahlkampf gegen die Wirtschaftspolitik seines ehemaligen Schülers Klaus zu wettern. Damit rannte er bei den rund 500 Zuhörern offene Türen ein. Der allgemeine Tenor lautete: „Wir sind nicht gegen die Marktwirtschaft und auch nicht grundsätzlich gegen deutsches Kapital, aber wir wollen unsere Betriebe nicht zu billig verkaufen.“

Doch die unterschiedliche Kaufkraft der beiden Währungen ist im Cheber Alltag ständig gegenwärtig. In einem mit deutschen Fahnen geschmückten Schaufenster wird ein aus der BRD importierter Kochtopfset für nahezu 12.000 Kronen — das Dreifache eines Durchschnittslohns — angeboten, das teuerste Mittagessen in der „Alttschechischen Gaststätte“ kostet drei Mark. Kein Wunder, daß so immer mehr Tschechen ihre Arbeitskraft im Westen verkaufen wollen; offiziell waren es im letzten Jahr rund 12.000 Bürger der CSFR, die in Bayern in erster Linie Hilfsarbeitertätigkeiten übernahmen. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl an Schwarzarbeitern.

Cheb selbst kommt der „Ausverkauf des Landes“ freilich zugute: „Schauen Sie, wie unsere Stadt blüht“, meint ein Bürger. „Die monotonen staatlichen Dienstleistungsbetriebe sind von einer ständig wachsenden Zahl privater Kaffeehäuser, Restaurants und Boutiquen abgelöst worden.“ Zwar werden die Parkplätze der Stadt nicht selten von Autos mit den Kennzeichen der benachbarten deutschen Kreise belegt. Viel häufiger als in Prag jedoch sind in Cheb auch teure Westautos mit tschechoslowakischen Nummernschildern zu sehen.

Und so kann Landrat Ota Mika dann auch voll Zufriedenheit feststellen, daß die Arbeitslosigkeit in seinem Kreis mit 2 Prozent weit unter dem Durchschnitt von 6 Prozent liegt. Sein Ziel ist es, die Zusammenarbeit mit Bayern weiter auszubauen, in der „Euroregion Egrensis“ strebt man eine deutsch-tschechoslowakische Zusammenarbeit im ökonomischen, ökologischen und kulturellen Bereich an. Ota Mika: „Wenn es in einem tschechischen Dorf brennt, dann soll auch die deutsche Feuerwehr löschen dürfen.“

Die Förderung der Euroregion gehört zu den Zielen der tschechischen Regierung. Unternehmer in der Grenzregion unterliegen einem Steuersatz von 0%, für die Anmietung von Gewerbeflächen gelten weit unter dem Marktwert liegende Festpreise. Und wie beeinflußt der deutsch-tschechoslowakische Vertrag das Leben in der Euro-Region? Mika: „Da der Vertrag den Willen zur Zusammenarbeit betont, ist er sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Diesem müssen jedoch weitere Schritte folgen, Schritte, die die Unruhe und die Befürchtungen, welche die Eigentumsforderungen der Sudetendeutschen bei der Bevölkerung ausgelöst haben, nicht noch mehr anwachsen lassen.“ Am liebsten wäre es Mika jedoch, wenn sich Prag möglichst wenig in die Angelegenheiten des Kreises einmischen würde. „Die Organisation des deutsch-tschechischen Zusammenlebens soll keine Angelegenheit der Politiker, sondern der Bürger sein.“ Sabine Herre, Cheb

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