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Schuld ist diese Person!

■ Ein schwieriger Versuch, einen Fall von Beleidigung gerichtlich aufzuklären

Erna B., 59 Jahre, die vollen schwarzen Haare aufgesteckt, blaues Nadelstreifenkostüm, adrette weiße Bluse, schluchzt in ihr weißes Taschentuch mit lila Häkelrand: Noch nie hatte sie mit dem Gericht zu tun. Fast sechzig Jahre ist sie jetzt unbescholten durchs Leben gegangen — und nun soll sie bestraft werden! Schuld ist nur diese M., die ein Stockwerk unter ihr wohnt, diese Polin. Mit den Türken aus dem Erdgeschoß versteht sie sich ja gut, wirklich, bestes nachbarschaftliches Verhältnis.

„Wer weiß, was die da machen!“

Aber diese M.! Ein reines Durchgangslager ist deren Wohnung, bis zu 15 Polen halten sich dort zeitweise auf! Und wer weiß, was die da machen! Laut ist es immer, mitten in der Nacht steigt Frau M. da oft in die Badewanne und nicht immer allein, nein, das weiß Erna B., schließlich hat der Gewoba- Block in Osterholz-Tenever dünne Wände und die Nachbarin von unten, Frau J., hat auch immer gesagt: „Wenn ich die schon seh, die alte Hure“, und ihr Hund bellt immer und immer diese Männer und ganz besonders der eine, ihr Freund aus Frankfurt, wenn der kommt ist es immer besonders schlimm und das geht nun schon fünf Jahre und Erna B. ist schon mit den Nerven an Ende.

Richter Hoffmann ist nun auch bald zwar nicht mit seinen Nerven, aber mit seiner Geduld am Ende. Eigentlich sitzt er nur da, um herauszufinden, ob Erna B. besagtem Frankfurter Freund der Frau M., an einem schönen Sonntag morgen im April 1991 wirklich einen Blumentopf und eine Messinggießkanne an den Kopf geworfen hat, nicht ohne ihn vorher als „Polaken“ beschimpft zu haben. Aber wie soll Erna B. „zur Sache“ kommen, wenn doch die Sache ist, daß es in der Wohnung von Frau M. immer so laut ist und alle schon unterschrieben haben, daß sie raussoll, auch Herr und Frau J. und jetzt setzen sie sich mit dem Pack hin und trinken Sliwowitz und ihre Tochter und ihre Enkel und... Schließlich gelingt es dem Richter, Frau M. (mit polnischem Dolmetscher) zu vernehmen. Zuvor hatte er Erna B. mit Rausschmiß gedroht wenn sie ihre Kommentare nicht ließe („Ich arbeite und diese Polin geht zum Sozialamt!“). Vernommen werden auch noch Herr J. (mit jugoslawischem Dolmetscher) und Herrn Sch., der 64jährige Verlobte von Erna B. Und irgendwie, sie mag bestreiten, was sie will, muß es wohl so gewesen sein: Erna B.'s Enkel, die bei der Oma schliefen, haben sonntags morgens an der Heizung herumgespielt, was besonderen Effekt macht, da über die Rohrleitung in allen Wohnungen zu hören. Herr J. hörte den Krach und ging zu Frau M., weil er da die Geräuschquelle vermutete. Fehlanzeige! Er ging rauf zu Erna B., um seine Sonntagsmorgenruhe einzuklagen. Die ließ Beschimpfungen gegen Frau M. los, die letzte Nacht wieder so laut gewesen sei. Das brachte den polnischen Frankfurter Herrn auf den Plan. Der wollte die Ehre seiner Freundin verteidigen und fing sich dabei mit ziemlicher Sicherheit Beleidigung und harte Gegenstände ein. So bunt und prall ist das Leben! Der Richter machte allerdings deutlich, daß er da nicht wohnen wollte, und in das „Dickicht“ von Mieterstreitigkeiten könne er allerdings kein Licht bringen. Aber er konnte und wollte Erna B. eine Vorstrafe ersparen. Einstellung des Verfahrens bei Zahlung einer Geldbuße von 600 Mark an eine gemeinnützige Organisation, so sein Vorschlag. Ob er angenommen wurde, stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest, denn Sie wissen ja: diese M. und dann immer dieser Krach und das schon seit fünf Jahren und dann bringt sie... asp

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