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Ausgefeilte Sicherheit

■ Eine Metall gewordene Illusion wird ausgestellt — Handwerkskammer der Schlosserzunft zeigt ihre Kunst

Ist die Tür als Begrenzung eines bestimmten Raumes von eher symbolischer Bedeutung, so verleihen erst Schloß und Schlüssel derselben den Charakter eines handfesten Hindernisses — vorausgesetzt, es handelt sich dabei um ein richtiges Sicherheitsschloß und nicht um eines jener Modelle, die mühlelos mit Kleiderbügeln, Scheren oder sanften Tritten überwunden werden können.

Um dieses Kriterium zu erfüllen, hat sich die Schlosserzunft, wie eine diese Woche angelaufene Ausstellung im Berliner Handwerksmuseum zeigt, über die Jahrhunderte hinweg so einiges einfallen lassen. Da wurden Schlüssellöcher hinter Türchen versteckt, die sich nur über geheime Mechanismen öffnen lassen, wurden Schlösser mit zwei oder drei Schlüsseln mehrfach gesichert oder in unglaublichen Größen gefertigt. Wann immer die Zeiten unsicher zu werden drohten, boomte das Schlosserhandwerk. Das »Eisen gegen die Angst«, so ein Dokument aus dem 16. Jahrhundert, verspricht all denen einen ruhigen Schlaf, die ansonsten um ihre körperliche Unversehrtheit oder ihre materiellen Güter fürchten.

Die Übergabe eines Schlüssels ist ein großer Vertrauensbeweis, der in der Regel nur ganz besonders auserwählten Freunden beziehungsweise Arbeitnehmern zuteil wird. Gerade in einer Stadt wie Berlin, in der der eigenen Wohnung als persönliches Refugium vor dem großstädtisch-aggressiven Chaos eine quasi existentielle Bedeutung zukommt, wird genau geprüft, wem der unkontrollierbare Zutritt zu diesem Zufluchtsort gewährt wird. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Abschottung nach außen noch um eine Abstufung reicher: Zur Wohnungs- und Haustür gesellten sich die Stadttore, die ebenfalls die Aufgabe hatten, die unerwünschten von den erwünschten Besuchern zu trennen. Gerade an ihnen wird deutlich, daß der Besitz eines Schlüssels stets auch als Insignie der Macht gelesen werden muß. Das Symbol für die Unterwerfung einer Stadt durch feindliche Armeen war die Übergabe der Stadttorschlüssel. Wer die Macht hat, hat nicht nur die Schlüssel zu den Stadttoren und Landesgrenzen — die entsprechenden Papiere und Stempel sind im Grunde nichts anderes als symbolische Schlüssel —, sondern auch zu den Gefängnissen, um die wahlweise ein- oder auszusperren, die nicht ins Konzept passen.

Bereits der kleinste Privatschlüssel ist ein Zeichen der Macht, bedeutet er doch die Verfügungsgewalt über einen noch so kleinen oder gar nur angemieteten eigenen Raum. »Und dann hat man eine Hochachtung zu einem Menschen, der ein Schlüsselbund hat«, bemerkt Irmgard Keuns Kunstseidenes Mädchen, die Position derer zum Ausdruck bringend, denen sich rein gar nichts mehr erschließt. Je größer die Gruppe wird, desto mehr nimmt das Bedürfnis der Wohnenden und Habenden zu, sich abzuschotten. Denn mit der steigenden Unordnung und Unübersichtlichkeit der Straßenlandschaft steigt auch die Bedeutung des eigenen Heims.

Kein Wunder also, daß das Schlosserhandwerk in Berlin vom Fall der Mauer profitierte. Die Invasion des Bösen aus der jeweils anderen Stadthälfte vermutend, bestellten die Menschen in Ost und West den Schlosser, um wenigstens die eigene Wohnung fremdenfest zu machen. Insbesondere die OstberlinerInnen, die bis vor zwei Jahren zum Beispiel ihre Fahrräder noch mit sardinendosenöffnergerechten Schlössern sicherten, hatten diesbezüglich einigen Nachholbedarf.

Und die Polizeistatistiken geben ihnen recht: Mit der neuen Durchlässigkeit der Systeme stieg die Zahl derer, denen eine symbolische Grenze nicht reicht, um das Eigentum oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu respektieren. Daß man diese mit einem guten Schloß fernhalten kann, ist jedoch eine Illusion, die vor allem auf dem Grundirrtum basiert, daß das Böse draußen und das Gute drinnen ist und sich beide, mittels einer gutgesicherten Tür, fein säuberlich voneinander scheiden lassen. Die meisten Vergewaltigungen oder sonstigen Verletzungen des sexuellen Selbstbestimmungsrechts finden im trauten Heim statt; in der Mehrheit der Fälle ist nicht der böse »schwarze Mann«, sondern der vermeintlich liebe Ehemann, Freund, Vater oder Kollege der Täter. Daß die Übel dieser Welt nicht zwangsläufig mit dem Straßendreck am Fußabtreter hängenbleiben, wissen all die, deren Nachbarn sich regelmäßig zwischen Schrankwand und Polstergarnitur gegenseitig die Zähne einschlagen. Zudem haben viele Übeltäter erkannt, daß sich die Abwehrmechanismen der menschlichen Psyche oftmals um vieles leichter knacken lassen, als die Kombinationen der Sicherheitsschlösser. Wahrscheinlich sind schon mehr alte Damen vermeintlich freundlichen Taschenträgern als dietrichbewehrten Einbrechern zum Opfer gefallen. Darauf mit noch mehr Mißtrauen zu reagieren ist eine höchst zwiespältige Lösung. Der Rückzug des mißtrauisch lauernden Individuums produziert vor allem Vereinsamung und Vereinzelung, was wiederum einen Verlust an sozialer Kontrolle und somit mehr Unsicherheit bedeutet. »Die bestverschlossene Tür«, so ein altes chinesisches Sprichwort, »ist die, welche man offenlassen kann« — eine Weisheit, die in unseren heutigen Metropolen allemal ein bitteres Lachen wert ist. Sonja Schock

Zu sehen ist die Ausstellung ungefähr ein Jahr lang im Berliner Handwerksmuseum am Mühlendamm 5 in Berlin-Mitte.

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