UNTERM STRICH

Ja, kommen wird die Zeit sogar, wo man, statt ihn zu vollenden, die inneren Räume zu einem Stall für Pferde wird verwenden.“ So schrieb Heinrich Heine 1844 in seinem Gedicht Deutschland. Ein Wintermärchen über die damaligen Bestrebungen in Deutschland, den Kölner Dom zu vollenden. Aber hier, wie ja überhaupt hin und wieder, irrte Heine: 1880 wurde der letzte Stein auf die Kreuzblume des Südturms gehoben. Der Kölner Dombau-Verein, dem die Fertigstellung hauptsächlich zu verdanken ist, feiert in diesem Frühjahr sein 150jähriges Bestehen. Jahrhundertelang hatte der gotische Dom — dessen Grundstein Erzbischof Konrad von Hochstaden 1248 legte, und der die größte Kirche des seitdem so erfolgreichen Abendlandes werden sollte — als Torso mitten in der Stadt gestanden. Der Südturm war bereits auf eine Höhe von 59 Metern angewachsen — „auf ihm“, so unsere geschätzte Nachrichtenagentur, „stand über viele Generationen ein Kran als mahnendes Zeichen des Unvollendetseins.“ Ohne den Dombau-Verein also, den wir an dieser Stelle würdigen (denn Geburtstagsgrüße werden ja in ihrer Bedeutung in unserer einerseits so zeichenarmen, andererseits so zeichenüberfluteten Zeit gern und grundsätzlich unterschätzt, als wäre dies ein Vorteil in der Durchsäkularisierung des Lebens, der wir uns in dieser Redaktion so rückhaltslos überschrieben haben) wäre die Kathedrale möglicherweise immer noch ein Torso. Außenstellen des Dombau-Vereins schossen in Deutschland und sogar im Ausland übrigens wie Pilze aus dem Boden, selbst in Brasilien und Mexiko gab es Ortsvereine des unermüdlich tätigen Akzidents. Und der Zweite Vorsitzende des Pariser Ortsvereins war kein anderer als Heine, der in seinem „Wintermärchen“ über die „armen Schelme vom Domverein“ spottete, sie würden vergebens bei „Ketzern und Juden sogar“ betteln, um „die alte Zwingburg (zu) vollenden — „ist alles fruchtlos und eitel“. Der Dom gehört sympathischerweise — und wir zögern nicht, diesen Sachverhalt als Begründung dieser üppigen Meldung zu markieren — nicht der Kirche, sondern sich selbst. Zur Eigenfinanzierung wurden in schöner Unbefangenheit andere als die üblichen Klingelbeutelmethoden verwendet (wir könnten also hier einmal lernen, wir armen GenossenschaftlerInnen): Allein die Fertigstellung der Türme kostete über vier Millionen Taler, und das ging nicht ohne die Dombau-Lotterie, zunächst verschämt „Prämienkollekte“ genannt. Der Hauptgewinn der ersten Lotterie betrug 100.000 Taler, das Jahreseinkommen des reichsten Kölners, des Zuckerfabrikanten Joest, belief sich damals auf 60.000 Mark. Die Kosten des Abbruchs benachbarter Häuser summierten sich sogar auf knapp sieben Millionen Taler. Damals wurden der Stadt Köln (nein, auch auf Städte ist kein Verlaß. Das Prinzip der persönlichen Schuld, in unseren Zeiten ohnehin politisch ein Atavismus — s. die Erläuterungen zur Anders-Konferenz — , läßt sich durch bürokratisch verfaßte Kollektive nicht aufforsten) kostbare Grundstücke in Domnähe unter der Auflage geschenkt, sie niemals zu bebauen. Heute stehen dort das Römisch-Germanische Museum, das Doppelmuseum Ludwig/Wallraf-Richartz und die Philharmonie.