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Bei Sinnen bleiben

■ Barbara Dudens Essay „Der Frauenleib als öffentlicher Ort“

An einem Sonntagmorgen sitzt die Amerikanerin Joanne mit ihren Freundinnen im Garten beim Kaffee und reicht ein Schwarzweißfoto herum, auf dem sich schemenhaft ein Kegel abzeichnet, am Rand ist eine Skala angebracht. „Das ist Brendan“, erzählt Joanne. „Sein Wachstum ist normal.“ Der Polaroidabzug der Ultraschall-Lotung geht von Hand zu Hand, und sachkundig erklärt die Schwangere, was sich die Frauen unter den Schatten vorzustellen haben. Kopf, Leib, Beine... seit sie Brendans Herz habe schlagen „sehen“, wäre für sie ein Abbruch nicht mehr möglich gewesen. Eine Freundin berichtigt sie leise: „Du, Joanne, lange bevor du's sehen konntest, war's doch schon ein Leben!“

Kein Kampfbegriff hat sich in einer politischen Auseinandersetzung in den vergangenen Jahren so in den Köpfen der Menschen verankert, wie der des „Schutzes des ungeborenen Lebens“. Mit „dem Leben“ verbindet sich das Bild von dem hilfsbedürftigen Würmchen mit dem Wasserkopf und den kleinen Stummelärmchen, und vielleicht wirkte es auch in der Vorstellungswelt der Frauen nach, die während des Golfkriegs „Für das Leben“ auf die Straße gingen. Der Begriff „Leben“ hat sich nicht nur in der BRD innerhalb von einem Jahrzehnt von einer politischen Sprachhülse zu einer existentiellen Beschwörungsformel entwickelt, und an seinem neuralgischen Punkt, Schwangerschaft und Fötus, entzünden sich die selbstversichernden Diskurse der Gesellschaft über ihren eigenen Bestand.

Die eingangs zitierte Geschichte erklärt die Historikerin Barbara Duden in ihrem Essay Der Frauenleib als öffentlicher Ort als symptomatisches Ereignis, denn es wirft ein Schlaglicht auf die moderne Wahrnehmung und das Erleben von Schwangerschaft. Ihr auf frühere Epochen zurückgewandter Blick relativiert jedoch unsere zeitgenössischen Gewißheiten über das im Fötus inkarnierte Phänomen „Leben“ und weist nach, daß der schutzbefohlene „Fötus“ weder ein „Geschöpf Gottes“ oder der „Natur“, sondern selbst ein Produkt der modernen Gesellschaft ist. Der Fötus, der der Schwangeren in einer Berliner Gynäkologenpraxis als Phantombild, zusammengesetzt aus einer Ansammlung deutbarer Meßdaten, gegenübertritt, dessen Polaroidbild sie zuhause aufstellt und sie von „ihrem Baby“ sprechen läßt, hat nichts zu tun mit den „Stockungen und Verstopfungen des Blutes“, die vor 250 Jahren eine Schneidersfrau in die Praxis des Hof- und Leibmedicus Dr.Storch in Eisenach trieb, von der das von Duden aufgefundene Krankenjournal berichtet. Ob sie schwanger ist oder nicht, weiß die Eisenacherin, anders als die moderne Berlinerin, auch nach dem Besuch nicht, und sie wird sich noch Monate gedulden müssen, bis die erste Kindsregung ihr untrüglich anzeigt, daß sie „guter Hoffnung“ ist. Mit der Unsichtbarkeit bleibt die Unsicherheit, und ungewiß ist bis zur Geburt des Kindes sein Geschlecht, nichts ist bekannt über seine Anlagen, es fehlen die Kategorien für eine „Risikoschwangerschaft“ — niemand durchdringt die Haut der Frau, um „zu sehen“.

„Öffentlich“ wird der weibliche Leib, das zeigt Dudens Streifzug durch die Geschichte des schwangeren Körpers, erst mit seiner visuellen Durchleuchtung und Vermessung, wenn Schall-Lotung und Fötuskopie die menschliche Schaulust befriedigen. Was bisher im Innern der Frau verborgen und nur durch ihr subjektives Fühlen und Erleben vorhanden war, liegt nun sicht-bar veröffentlicht und entzieht sich in dem Maße der sinnlichen Wahrnehmung der Schwangeren, wie diese mit den Befunden des objektiven „Datenpools“ nicht mehr konkurrieren kann. Der Fötus wird als „wissenschaftliche Tatsache“ ebenso „hergestellt“ wie die schwangere Frau, die nunmehr als möglichst risikoloses „uterines Umfeld“ zu funktionieren hat. Medizinisch und juridisch getrennt von ihrer Leibesfrucht, steht der „Patient Fötus“ im Mittelpunkt der Expertenaufmerksamkeit und seiner Produzentin scheinbar feindlich und eigeninteressiert gegenüber, und es bedarf nun des vermittelnden „Dialogs“ der Schwangeren mit ihrem Fötus. Daß dieser Vorschlag ausgerechnet von der „pro familia“-Vorsitzenden Monika Simmel vorgebracht wird, bezeugt, wie sehr selbst unter Frauen und in der Frauenbewegung inzwischen die Vorstellung von einem von der Schwangeren abgetrennten Fötus, der abstrakt zu „ein Leben“ wird, verbreitet ist.

Barbara Duden geht es in ihrer Untersuchung erklärtermaßen nicht um einen Beitrag zur aktuellen Diskussion um den §218, wenn in ihrem Bild vom Fötus als „Medienemblem“ auch agitatorisches Potential steckt. Eine außerordentlich interessante Dimension eröffnet ihre Frage, weshalb das im Fötus versinnbildlichte „Leben“ mit der Weihe eines „letzten Wertes“ ausgestattet und zum Sinnversprechen für die Industriegesellschaft wird. Die Historikerin vermutet, daß das in einen Substanzbegriff geronnene, entsinnlichte „Leben“ eine Leerstelle füllen soll und Ersatz ist für das sinnhaft Lebendige, das sich nicht mehr auffinden läßt. Im Windschatten ihrer beißenden Kritik an der „Idolisierung des Lebens“ allerdings ersteht ein in frühere historische Epochen zurückverlagertes „ideales Lebendiges“, das etwa in Sätzen wie „Storch behandelt keine Sachen, sondern Frauen“ beschworen wird. Trotz zahlreicher methoden- und quellenkritischer Überlegungen erinnert diese polare Anordnung an die Diskursmuster der traditionellen Kulturkritik.

Dudens wissenschaftliche Beschränkung auf die Veränderungen der zeitgenössischen subjektiven Wahrnehmungs- und Denkstile birgt noch ein weiteres Problem. Sie lenkt die Aufmerksamkeit ab von den objektiven strukturschaffenden Folgen, die der Einsatz moderner medizinischer Techniken und der Reproduktionstechnologie hat. Die Tatsache, die die Gentechnologie mit der Trennung des Fötus von der Schwangeren geschaffen hat, ist unhintergehbar und hat die Vorstellung von einem untrennbaren Ganzen zur Fiktion erklärt. Der weltweite Boom von IVF deutet darauf hin, daß sich das moderne Bewußtsein darauf eingestellt hat — und der Fetisch „Leben“ die Antwort auf dieses bedrohliche Wissen ist. Das kategorische „Nein“, das sich Duden kürzlich in einem Interview wünschte, mag eine Reaktion der Frauen auf die „Zumutung sein, sich selbst in ein System zu transformieren“, eine Möglichkeit, „bei Sinnen“ zu bleiben. Ob sie ihren schwangeren Bauch in der Zerreißprobe zwischen Kult und Tribunalisierung gegenüber dem abstrakten Lebensrecht des Fötus werden verteidigen können, bleibt skeptisch abzuwarten. Ulrike Baureithel

Barbara Duden: Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben. Luchterhand Literaturverlag, 139 Seiten, 24DM

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