: Wenn der Zahnfeger kommt ...
■ Ein Kundschafter in den grausamen Höhlen des Zahnärztewesens/ Ein Selbstversuch
Mangelnde Mitarbeit bedeutet meistens ein unangenehmes Wiedersehen beim Zahnarzt — Zahnziehen und Zahnersatz ist oft nicht mehr zu vermeiden.« (Zahnarztmagazin)
Mit dem Zahnarzt gehe es einem genauso wie mit dem Psychoanalytiker, der die kranke Seele heilen könnte, oder mit dem Steuerberater, den man vergesse zu kontaktieren, erzählte ein kluger Freund. Gerne verdrängt man den Besuch über Jahre. Das gelingt um so besser, als daß der erste scheue Zahnschmerz selten allzu lange verweilt. Meist tut es nur ein paar Tage oder Wochen weh. Statt zum Zahnarzt zu gehen, ändert man listig sein Eßverhalten und beschränkt sich auf die Benutzung der gesunden Zähne. Man kaut nur noch rechts beispielsweise.
Der Zahnschmerz geht nach einer Weile. Immer häufiger streicht jedoch die Zunge manisch um die kariösen Löchlein. Wenn es nicht mehr gelingt, Essensreste aus den Löchern zu saugen, nimmt man eine Nadel und weiß: Bald muß etwas passieren.
Kundschafter werden ausgeschickt in die grausamen Höhlen des Zahnärztewesens. Sie berichten von Fürchterlichkeiten: daß eine Betäubung nicht funktioniert und die zweite Spritze dann zur Ohnmacht geführt hätte, daß irgendwelche Nerven durchgetrennt worden wären, um den Schmerz beim Weisheitszahnziehen zu mildern und man seitdem die Zunge nicht mehr schmeckte, daß es im Allgemeinen so wäre wie in Dustin Hoffmans Marathon Man, wo ein faschistischer Arzt den Helden mit seinem Bohrer drangsaliert. Seltener hört man schöne Geschichten, wie die von F., der sich beim Bohren in seine bezaubernde Zahnärztin verliebte. In den Pausen alltäglicher Verrichtungen kommen jedenfalls immer häufiger die Bilder des letzten Zahnarztbesuches vorbei. Seltsam sah der Mann in Weiß aus, sein Geschicht schimmerte absurd wie eine Karikatur des amerikanischen Zeichners Don Martin neben der Lampe, die blau und herzlos frühmorgens in den Mund strahlte.
Betont beiläufig fragt man Freunde nach ihren Zahnärzten, denn der eigene, den man so lang schon nicht mehr sah, ist immer der Schlechtere. Um einen zu ärgern, vermitteln sogenannte Freunde Termine. Mit gespielter Freude nimmt man's zur Kenntnis und bereitet sich meditierend darauf vor. Oder trinkt sehr viel Alkohol am Vorabend und ist sehr enttäuscht, wenn man zitternd auf dem Opferstuhl sitzt und der Zahnarzt nur schaut und die Zähne benennt, die er erst nächstes Mal bohren wird müssen und einem endlich mal zeigt, wie man sich fachmännisch die Zähne putzen soll. Normalerweise kriegt man vier Termine; zwei für oben, zwei für unten. Ein Kollege erzählt stolz, daß er neulich sogar sieben bekommen hätte und auf Betäubungsspritzen beim Bohren verzichten würde.
Bislang war ich nur in Männerpraxen. Um die unbewußte Verknüpfung zwischen Herren im Kittel, eigener Hilflosigkeit, Bohrergetöse und Schmerz zu unterbrechen, schickten mich Freunde zu einer Zahnärztin, bei der zudem ausschließlich Frauen arbeiteten. Die trugen weiche bequeme Hosen und Nickis in Lila und Rosa. Und keine Strümpfe unter ihren Gesundheitsschuhen. Das war beruhigend und auch fortschrittlich: Spiegelverkehrt tickt eine Uhr im Warteraum; Flüchtlingsaufkleber werben an den Wänden für eine offene Stadt; buntes Spielzeug lockt die Kleinen. Erfahrene Zahnärztinnen sagen ihnen, um die Angst zu mildern, sie würden die Zähnchen nur »fegen«.
Doch im Hintergrund dröhnt trotzdem der Bohrer. An ein paar Zeitungen klammert sich der Blick fest: »Dr. Med. Mabuse«, 'Öko Magazin‘, 'Spiegel‘, 'Constructiv‘. In 'Medizin Heute‘, findet sich ein Artikel über »Problempatienten«. Wer gerade einen Herzinfarkt hatte, braucht zur Belohnung ein halbes Jahr nicht zum Zahnarzt, erfährt man. Der hat Glück! Das 'Zahnarzt Magazin‘, »die Zeitung der Berliner Zahnärzte für ihre Patienten« sucht mit Witzen auf den Titelblättern Patienten aufzulockern. Mit einfühlsamen Vorschlägen hilft die Zeitschrift dem Zahnart, sich in die Psyche seines Opfers zu versetzen: »Zugegeben, wird der Jugendliche vielleicht selbstkritisch feststellen, ich habe in letzter Zeit nur noch an meine Freundin gedacht, da war mir alles andere egal, auch das Zähneputzen. — Aber junger Freund, sie läßt sich bestimmt lieber von einem sauberen und gesunden Mund küssen.«
In meiner Praxis gibt es keine Männer. Und irgendwie ist das recht angenehm, beim Bohren zum Beispiel. Wenn man wie ein Kind verkrampft, hilflos und blöde nur daliegt, wenn es fies im Mund surrt, brummt und holpert, wenn in die Verwirrung über die plötzliche Schwierigkeit, durch die Nase zu atmen und die Zunge recht locker zu halten, ein Schmerzlein gellt, ist es doch äußerst tröstend, die beruhigende Hand der Zahnarztgehilfin auf dem Arm entlangstreichen zu fühlen, mag auch ein Backenzahn in seinen Grundfesten noch so sehr erschüttert werden. »Gleich tut's noch einmal ein bißchen weh«, meint sie lächelnd. Danach vergißt man schnell. Detlef Kuhlbrodt
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