: Niger: Soldaten als Kidnapper
■ Einen Vormittag lang stand der praktisch bankrotte Sahel-Staat am Rande eines Militärputsches
Niamey/Berlin (ap/dpa/taz) — Ein Kidnapperdrama hielt gestern Niger in Atem: Revoltierende Soldaten besetzten am frühen Morgen die Zentrale des staatlichen Rundfunks in der Hauptstadt Niamey und gaben die Festnahme des Parlamentspräsidenten in der Übergangsregierung, Andre Salifou, sowie des Innenministers Mohammed Moussa bekannt. Sie forderten die Absetzung des stellvertretenden Generalstabschefs und die Auszahlung überfälligen Soldes. Den Ministerpräsidenten Amadou Cheffou, der sich im Osten des Landes befand, riefen sie auf, unverzüglich nach Niamey zurückzukehren und sich in ihre „Obhut“ zu begeben.
Der jedoch reagierte ganz anders: Um dem Schicksal zu entgehen, das seine Kollegen in Togo und Kongo bei ähnlichen Militärrevolten im November und Januar ereilt hatte, erklärte der Premier sich zur Erfüllung der Forderungen bereit und erreichte damit, daß die Soldaten um die Mittagszeit die Freilassung ihrer Geiseln verkündeten. Die Rebellen kehrten schießend in ihre Kasernen zurück. Tausende von Menschen, die am Vormittag gegen den befürchteten Putsch demonstrierte hatten, gingen wieder nach Hause.
Cheffous vorsichtige Reaktion verdeutlicht seine schwache Position gegenüber den Militärs, die Niger bis 1991 regierten. Die damals herrschende Militärdiktatur ging im November 1991 zu Ende, als eine viermonatige Nationalkonferenz den Übergang zur Demokratie beschloß und eine Regierung mit Cheffou an der Spitze ernannte. Die neue Regierung, die 1992 freie Wahlen abhalten lassen will, geriet aber rasch in die Defensive. Wegen Geldmangels — die Einnahmen aus dem Hauptexportprodukt Uran waren zwischen 1986 und 1990 von 590 auf 30 Millionen Mark zurückgegangen — kann sie seit Dezember ihre Beamten und Soldaten nicht mehr bezahlen. Im Januar schlugen empörte Demonstranten den Minister für öffentliche Dienste auf offener Straße zusammen. Zur UNCTAD-Konferenz in Cartagena in diesem Monat konnte Niger nur einen einzigen Delegierten schicken.
Gleichzeitig behielt die Armee, deren brutale Feldzüge gegen die rebellierenden Tuareg-Nomaden im Norden des Landes 1990 ein Auslöser der ersten Proteste gegen die Diktatur gewesen waren, einen bestimmenden Einfluß. Die neuen Demokraten waren nicht stark genug, das Militär an die Kandare zu nehmen: Diktator Ali Saibou blieb Staatspräsident, das Militär führte seine Feldzüge im Norden weiter. Das Ergebnis: Seit November eskaliert die Tuareg-Revolte wieder; scharenweise laufen junge Arbeitslose zur Guerilla über, Angriffe auf Polizeiquartiere und Touristen häufen sich. Weite Teile Nigers sind heute militärisches Sperrgebiet, über eine Teilung des Landes wird offen spekuliert. So wird der gestrige Gewaltstreich auch zum Ziel gehabt haben, die Rolle des Militärs als Garant der „nationalen Einheit“ in Erinnerung zu bringen. D.J.
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