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Nach zwei Jahren des Schweigens: Mielke redet

■ Der einstige Stasi-Chef beklagt die miserablen Ermittlungen und präsentiert sich als unterdrückter Reformer

Berlin (taz) — Aus seiner tiefen Depression, Verwirrung und Amnesie ist offenbar der ehemalige Minister für Staatssicherheit der DDR aufgetaucht. Bislang hatte der wegen des Mordes an zwei Polizisten im Jahre 1931 angeklagte Erich Mielke im Saal 700 des Kriminalgerichts Moabits nur mit genialischen Sätzen wie „Mir ist schlecht“ oder „Ich will ins Bett“ zum Amüsement des Publikums beigetragen. Am Samstag äußerte er sich gegenüber der 'Berliner Zeitung‘ erstmals zu seinem Prozeß, aber präsentierte sich auch als Reformer, der bedauerlicherweise nicht zum Zuge kam.

In einem Interview mit dem ehemaligen SED- Blatt fand der einstige Tschekist deutliche Worte für die Qualität der gegen ihn erhobenen Anklage. „Jeder einfache Gefreite meines Ministeriums hätte besser ermittelt“, urteilte er. Natürlich könne er sich noch gut an jene Nacht des 9. August 1931 erinnern, in der die beiden Berliner Polizisten Lenck und Anlauf am Bülowplatz erschosen worden waren: „Die Polizei schlug mit Gummiknüppeln auf die Demonstranten ein. Wer geschossen hat, kann ich nicht sagen. Ich bin weggerannt, um nicht selbst abgeknallt zu werden.“ Er sei damals nur ein „einfacher politischer Funktionär“ der KPD gewesen. „Ich bin wie ein Treppenterrier von Haus zu Haus, habe Fünfzig- Pfennig-Broschüren an die Arbeiter verteilt. Eine hieß zum Beispiel: ,Wie verhalte ich mich vor Gericht?‘.“

Über solche seinen Prozeß betreffenden Anmerkungen verteidigte Mielke die Arbeit seiner Untergebenen: „Da herrschte Ruhe und Ordung. Und die Menschen konnten wirklich nachts auf die Straßen gehen, die Frauen und alle, nicht wahr.“

Zum Schießbefehl offenbart der Vertraute Erich Honeckers überraschend humane Ansichten: „Meine Meinung war: Wenn einer wegrennt, ist das weniger Schaden, als wenn einer erschossen wird.“ So, wie sich Mielke jetzt im Haftkrankenhaus des Untersuchungsgefängnisses Berlin-Moabit präsentierte, war er ohnehin schon lange ein perfekt getarnter Reformer, der sich leider nie durchsetzen konnte: „Schabowski, dem ich Informationen geschickt habe, mit solchen Leuten wie der Bohley zu reden“, klagte er, „hat doch geantwortet, er denke nicht daran.“ Und was die Möglichkeit einer blutige Niederschlagung des Aufstandes vom Herbst 1989 angeht beteuert Mielke: „Ich habe die chinesische Lösung bewußt ausgeschlossen.“

Dieser Humanismus wurde ihm von der BRD- Justiz bekanntermaßen nicht gedankt, deshalb sieht Erich Mielke seine Zukunft inzwischen eher düster: „Aber hier kann man ja auch nur so lange bleiben bis man stirbt.“ Wesentlich optimistischer gibt sich sein Verteidiger Hubert Dreyling: „Wir werden eine totale Wende in dem Prozeß erleben.“ M.S.

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