: Was immer wir hören...
■ Fred Freytag im Gespräch mit dem Klangkonstrukteur Witold Szalonek
Witold Szalonek gehört zu der Komponistengeneration, die nach dem Ende der Stalinismus-Ära 1956 aus dem renommierten Neue-Musik-Festival »Warschauer Herbst« hervorgingen. 1959 hatte er dort mit »Geständnisse für Sprechstimme, Chor und Kammerorchester« seinen ersten großen Erfolg. Aufführungen seiner Stücke unter so renommierten Dirigenten wie Andrey Markoxski, Ernest Bour und Bruno Maderna folgten. Wolfgang Steinecke vom HR und Heinrich Strobel vom SWF stellten seine Kompositionen vor.
Nach dem Kranichsteiner Kompostionspreis, Studien in Paris bei Nadja Boulanger, einer Kompositions-Professur in Katowice und einem DAAD-Stipendium für Berlin, wurde er 1973 als Nachfolger von Boris Blacher als Kompositionsprofessor an die Berliner HdK berufen, wo er bis heute tätig ist.
Musikalisch wurde er, nach kurzem Tribut an die Zwölftontechnik, besonders als perfider Klangkonstrukteur bekannt. Er war es, der als erster die Mehrklangmöglichkeiten der Holzbläser intensiv untersuchte, die Ergebnisse mehrfach publizierte und in seiner Musik verwendete. Zudem widmete er einen Großteil seines Schaffens der Frage, wie neue Klang- »Effekte« die musikalische Faktur und Form verändern, auf diese rückwirken.
Witold Szalonek, 1927 in Czechovice geboren, begeht dieser Tage seinen fünfundsechzigsten Geburtstag. Aus diesem Anlaß, aus dem auch in der »Unerhörten Musik« im BKA am 3. März ein Sonderkonzert stattfindet (das seiner Kammermusik seit 1967 gewidmet ist), führte Fred Freytag folgendes Gespräch mit ihm.
Fred Freytag: Herr Szalonek, wie Sie vielleicht wissen, bezeichnete Sie Ulrich Dibelius als »sensiblen Konstrukteur, der hohes satztechnisches Wissen und ein Gespür für die Nuancen der Farbe, auch ungewöhnliche oder verfremdete, zu schlanken Formbildern vereint«. Sind Sie mit dieser Charakteristik als »Konstrukteur« einverstanden?
Witold Szalonek: Ja, das ist das einzige, was man bewußt tun kann. Das, was man eigentlich zu sagen hat, darüber verfügt man ja nicht bewußt. Das Willkürliche, Bestimmende ist durch die musikalische Konstruktion gestaltet. Deswegen auch der starke Unterschied zwischen »notierter Improvisation« und Komposition.
Welchen Unterschied meinen Sie da, und was bezeichnen Sie mit »notierter Improvisation«?
Wenn jemand in der Komposition getrimmt ist, hält sich Aleatorisches immer in Grenzen.
Betrachten Sie etwa ein Fagott, um zu sehen wie subtil diese Materie ist: das Holz ist von der Luftfeuchtigkeit, der Temperatur, dem Wetter abhängig, und so sprechen an einem Tag einige Klänge gut an, an einem anderen Tag wieder andere. Aleatorik ist nun nicht etwa ein Mittel, die Verantwortung auf den Interpreten abzuwälzen, sondern seine Phantasie anzuregen mit solchen Gegebenheiten, natürlich in fest abgesteckten Grenzen, zu spielen.
Ich glaube, man hört in meinen Stücken und sieht in meinen Partituren, daß ich den Interpreten möglichst große Freiheiten gebe, meine Gedanken, meine Ideen zu interpretieren.
Sehen Sie, das ist wie in der Gedichtkunst oder dem Theater: je mehr Interpretationsmöglichkeiten ein Stück ermöglicht, denken Sie etwa an Shakespeare oder Faust, desto besser ist es oftmals. Oder Bachs Wohltemperiertes Klavier — da gibt es weder Lautstärkebezeichnungen, Interpretationsvorschriften, noch Tempoangaben!
Wenn ich das recht verstehe, sind Sie also einer Auffassung mit John Cage, was die Freiheit des Interpreten anbelangt?
Ich kenne sowohl seine Musik als auch seine Schriften. Obwohl ich ihn sehr hoch schätze — er ist vielleicht der wichtigste Musiker des zwanzigsten Jahrhunderts —, teile ich aber seine Philosophie nicht.
Meines Erachtens ist nämlich nicht alles, was wir hören, Musik. Musik offenbart sich durch die Form, als gewählte Folge der musikalischen Elemente. Das können Geräusche sein, Wassersprudeln, oder was Sie wollen; aber es muß gewählt sein in den Proportionen, in der Konstruktion. Dann wird es zu einem Medium, einem Träger dessen, was wir Musik nennen.
Der Klang als solcher ist noch keine Musik. Sie kommt durch bewußt gewählte Form zustande, die sich durch Konstruktion ergibt. Musik ist also, was ein Mensch konstruiert, um einem anderen Menschen etwas mitzuteilen.
Sie haben das einmal knapp formuliert »Formen der musikalischen Aussage sind: antiadaptive, in der Zeit funktionierende Konstruktionen der phonischen Reize«. Aber ist das bereits alles?
Da gibt es natürlich den anderen Pol, nämlich die Sonorität, »die sich als Seele des Instrumentes in der Musik offenbart«, wie ich das einmal nannte.
Ich habe immer immense Zeit an »Effekten« — ich hasse dieses Wort — gearbeitet. Etwa die Multiphonics einer Oboe. Ich habe die aufgezeichnet und stundenlang gehört und nochmals und nochmals gehört. Dann habe ich die ausgewählt, die ich interessant fand, die eine energetische Kraft hatten, die derartig auf mich einwirkten, daß mir ein Schauer den Rücken herunter lief.
Und dann habe ich mich freilich für die Psychologie der Klänge interessiert und die Wahrnehmungsweisen des Menschen. Ich möchte das nur andeuten mit folgendem Phänomen: Wie kann ein Schiffsmechaniker bei lautestem Maschinenlärm tief und ruhig schlafen, wacht aber bei einem Stillstand der Maschinen sofort auf?
In diesem Sinne sind Sie also so etwas, wie ihr erster Zuhörer, was sowohl Materialwahl, als auch -anordnung betrifft?
Genau. Im Sinne der Wahl und im Sinne der Wahnvorstellung. Des Verfolgungswahnes sogar. Da gibt es etliche Klangvorstellungen, die mich nicht losließen, bis sie aufs Papier gebracht waren.
Heißt das einzelne Klänge oder Passagen oder ganze Stücke?
Auch bestimmte Stücke — das concertino habe ich im Fieberwahn gehört, als ich an den masurischen Seen Zelten war. Die zwölftonige Faktur allerdings ist später dazu gekommen. Aber die klangliche Idee war nach einem Jahr noch völlig klar in mir, so daß sie mir emotionell und klimatisch half, das Stück zu beenden.
Die Analyse dieses Stückes war später übrigens die theoretische Arbeit, um die Professur in Katowice zu erhalten. Bedauerlicherweise war das concertino, wie fast alle meine Orchesterkompositionen, in Berlin noch nicht zu hören.
Es ist eigentlich erstaunlich, daß gerade Ihre Orchesterkompositionen, die ja in den sechziger Jahren bis weit hinein in die Siebziger häufig zu hören waren, in Berlin nicht aufgeführt sind. Wie erklären Sie sich das, wo Sie doch im Bereich der Kammermusik vielleicht der meistgespielte lebende Komponist in Berlin sind?
Es gab 1960 eine Aufführung der mutazioni mit dem RSO unter Bruno Maderna. Ich war damals niedergeschmettert, nicht nur weil das Orchester meinem Stück und damit mir, sondern besonders, weil die Musiker dem damals bereits schwerkranken Maderna übel mitgespielt hatten.
Und dann gehöre ich nicht zu den Komponisten, die mit den Partituren unterm Arm irgendwelchen Musikern hinterherlaufen. Ich habe immer die Überzeugung gehabt, man macht Musik für die Leute, die es wollen, die es interessiert. Solchen Menschen stehe ich dann auch liebend gern zur Verfügung.
Ich danke Ihnen für das Gespräch, möchte aber zum Abschluß noch die Frage stellen, welche Zukunftspläne sie haben. Geht ein Musiker mit fünfundsechzig in Rente?
Ich pendele weiterhin zwischen Katowice und Berlin, liegt mir doch die Verständigung zwischen Polen und Deutschland besonders am Herzen. Außerdem bin ich Mitorganisator des Rainbow-Music-Festivals in Katowice. An der HdK werde ich natürlich emeritiert sein, aber selbstverständlich führe ich meine Kompositionsklasse weiter. Ich würde doch niemandem meine Studenten geben! Die würden mir das auch niemals verzeihen. Solange man mich braucht, werde ich zur Verfügung stehen.
»Unerhörte Musik«, 20.30h BKA
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen