: Gute Nacht, Freunde!
■ Samstagnacht »Geisterstunde« in Kreuzberg/ Buntgemischte Satire und Musik im Nachtprogramm der Berliner Kabarett-Anstalt
Die Berliner Kleinkunst- und Kabarettszene ist interessanter geworden, seitdem an einigen Veranstaltungsorten die Künstler nicht einzeln, sondern als bunte Mischung verschiedener Stilrichtungen präsentiert werden. Das Quartier, die UFA-Fabrik, die Scheinbar und die Berliner Kabarett Anstalt zeigen mittlerweile Programme mit wechselnden Künstlern. Und der Zuschauer kann sich auf allerlei Überraschungen gefaßt machen, denn oft genug weiß nicht einmal der Veranstalter, was da auf der Bühne eigentlich passieren wird. Erfolg oder Mißerfolg des Abends hängen von der Erwartungshaltung des Publikums ab; wer eine dramaturgisch perfekt inszenierte Show erwartet, wird leicht enttäuscht. Eine Portion Aufgeschlossenheit gehört schon dazu, sich auf das Wechselbad von Klamauk, Kabarett und Musik einzulassen. Aber daß sich diese Kneippkur lohnt, zeigt Die Geisterstunde im BKA — ein Programm für Berliner Nachtschwärmer: es beginnt um Mitternacht.
Melitta Sundström führt durch die Show, zuerst etwas unsicher und holperig, aber ist das nicht auch verständlich, wenn das Mikrofon ausfällt oder der Tontechniker das Playback zu einem Song nicht einspielt? Das Publikum reagiert gelassen, dann belustigt, als Melitta die Situationskomik begreift und ihre Verzweiflung herausstöhnt: »Was macht man da? Ich sterbe jetzt. Jetzt sterbe ich wirklich. Ich will jetzt sterben.« Da findet der Tontechniker endlich das Band, verwechselt einige Schalter der Lightshow, und hat dann aber doch noch alles im Griff.
Ein Hochgenuß ist der Auftritt von Cora Frost und ihrem Partner Gert Thumser. Da haben sich wirklich zwei Künstler gesucht und gefunden; Cora, die zierliche Sängerin voller Dynamik und ihr schwergewichtiger Pianeur sind ein kongeniales Paar, wie man es nur selten sieht. Aggressiv und doch melancholisch beschreibt Cora ihre Suche nach der »blauen Stunde an einem grauen Tag«. Natürlich sind die wenigen Augenblicke des Glücks unbefriedigend für diese Frau, die vor lauter Lebenslust zu explodieren droht, und natürlich weiß sie, daß ihre Suche nach mehr Glück, mehr Lebenssinn und mehr Freude vergeblich ist — wir alle wissen das. Doch Cora kämpft sich durch den Song, immer wieder beruhigt von dem gelassenen Spiel ihres Partners, der sie wie ein guter Freund begleitet, zurückhaltend, beobachtend, jederzeit bereit, Cora zu helfen, wenn sie sich in Wut und Resignation zu verrennen droht. Cora Frost ist ein Energiebündel, sie stampft und trampelt mit ihren derben Stiefeln, die nicht so recht zu dem schwarzen Abendkleid passen wollen, rudert mit den Armen, nutzt die ganze Bühne, um sich auszutoben. Und dann die Stimme: so herb, so kraftvoll — eindringlich und trotz ihrer Power niemals überdreht oder schrill.
Dietmar Burdenski wird sich dagegen noch etwas einfallen lassen müssen, bis er im April in Berlin gastiert. Seine Nummern sind recht durchwachsen: Burdenski ist immer dann gut, wenn er sich auf seinen irren Sprachwitz verläßt. Sein wilder Ritt durch die Märchenwelt der Gebrüder Grimm steigert sich zu einem absurden Verwirrspiel von Rotkäppchen und den sieben Schneewitchen, die von einem gewissen Wolf etwas wollen, aber was das genau ist, weiß weder Burdinski noch der König, »und der war der weiseste von allen, und keiner wußte warum.« Genauso wunderschön neben der Spur verläuft die Geschichte eines Urlauberpaares, das in einen Unfall verwickelt wird. In einem Tempo vorgetragen, daß sich die Bilder im Kopf des Zuhörers überschlagen, bietet Burdenski mit dieser Story Kopfkino vom Feinsten. Leider zeigt der Satiriker auch stinklangweilige Sketche. Das ölige Lamentieren einer einfältigen Mutter, die ihrem Sohn vermitteln will — »das wichtigste ist Sicherheit« — macht vielleicht bei den Stachelschweinen Sinn, in Kreuzberg nachts um halb zwei ist da nur Gähnen angesagt. Und sich auf eine Bühne zu stellen, auf einer Gitarre rumzuschrabbeln mit der Pointe, das Musik etwas Schönes sei, ist eine Frechheit.
Gute Musik macht dagegen das »Steel Cello Ensemble« mit Bob Rutman und Rudi Moser. Sie entlocken riesigen Stahlkonstruktionen sphärische Klänge, nutzen die Metallflächen als Schlagzeug, dann wieder als Resonator, der über Stäbe und Bänder mit einem Bogen gespielt wird. Ungewöhnliche Klangvariationen entstehen, leicht und zart, ganz im Gegensatz zu der Statur der stählernen Riesen. Robert Rutman ist am 22. und 23. März im Café Springfeld in der Lindenstraße 39, Kreuzberg 61 zu hören. Cora Frost und Gerd Thumser spielen noch von Donnerstag bis Sonntag, um 20.30 Uhr, im BKA, und die nächsten Geisterstunden am Mehringdamm gibt es bis zum 21. März in jeder Samstagnacht um 24 Uhr. In diesem Sinne: Gute Nacht! Werner
Geisterstunde im BKA, jeden Samstag um Mitternacht, Mehringdamm 34.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen