KOMMENTAR: Dialektik der Zerstörung
■ Der Daimler-Kompromiß ist zum Schaden Berlins
Beim Tanz um das goldene Parkplatz-Kalb hat der Senat zwar sein Gesicht gewahrt, durchgesetzt aber hat sich Daimler. Der Senatsbeschluß wird formal eingehalten, am Potsdamer Platz nicht mehr als 7.700 Stellplätze zu bauen. Daimler hingegen kann sich mit 2.500 Plätzen vor Ort zufriedengeben, weil um die Ecke weitere 1.500 Parkplätze gebaut werden. Ein Spiel mit Zahlen mithin — an den desaströsen Aussichten für den Verkehr ändert sich dadurch nichts: hier ist ein Ausweg zu Lasten der Stadt gezimmert worden. Daimler, so steht zu befürchten, wird dabei auch noch sparen, denn die vereinbarten 1.500 Stellplätze abseits vom Potsdamer Platz wird vermutlich Berlin bezahlen müssen.
Mit der Vereinbarung sind alle Grundgedanken einer menschenverträglichen Stadtarchitektur zerschellt. Der Versuch, den Individualverkehr im Zentrum auf zwanzig Prozent zu begrenzen und den Rest durch öffentliche Verkehrsmittel abzudecken, ist gescheitert. Wer kann glauben, daß sich nun die Bundesregierung bei der Planung des Regierungsviertels in ihrem Parkplatzhunger bescheiden wird? Je besser das Straßennetz auf das Auto ausgerichtet ist, um so stärker wächst der Verkehr, wissen die Verkehrsplaner. Der Senat ignoriert dies. Berlin scheint deshalb dazu verurteilt, alle automobilen Sünden der Vergangenheit im Gewande eines Metropolenwahns zu wiederholen. Die einmalige Chance, im neuen Zentrum die urbanen Ideale einer zivilen Gesellschaft mit einer weltweiten Ausstrahlung zu verwirklichen, wird vergeben. Hilft jetzt nur noch die Dialektik der Zerstörung? Wo die Einsicht fehlt, daß nur fehlende Parkplätze den Individualverkehr reduzieren, kann die Lösung nur im finalen Chaos liegen. Also mit Vollgas in den Verkehrskollaps. Je schneller der Wahn zerbricht, um so größer die Chancen, daß die Stadt dann noch nicht irreparabel zerstört ist. Gerd Nowakowski
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