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Das ist ja eine Weide!

■ Jerry Cotton war in Bremen / Heinz Werner Höber über New Yorker Stadtpläne und den Fluch einer 40-jährigen Krimiserie

Weil er die Miete nicht bezahlen kann, droht die Räumungsklage. Keine Krankenversicherung, keine Rente in Sicht. Heinz Werner Höber ist mit einer Gesamtauflage von über 700 Millionen der meistgelesene BRD-Autor und ein kirchenmausarmer Poet. Denn: er ist Jerry Cotton, der schnelle (Jaguar E), starke, emotional gesteuerte „G-Man“ vom FBI, der seit 1953 die Heftchenreihe aus dem Bastei-Verlag groß machte und den Verlag gleich mit; der sich geschäftlich allerdings 40 Jahre über den Tisch ziehen ließ.

Ein juristischer Versuch, besser am Cotton-Umsatz beteiligt zu werden, hinterließ bei Höber 1/2 Million Schulden. 1989 veröffentlichte Höber — endlich, endlich — erstmals unter eigenem Namen und strich gleich den „Glauser“-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi ein. Trotzdem treibt ihn die schiere Not dazu, bis in alle Ewigkeit Cottons zu schreiben. Am Dienstag stellte Höber in der Buchhandlung Blessing sein neues Buch „Soldat in Deutschland“ vor. Am Mittwoch zeigte er in der Gesamtschule Mitte SchülerInnen, wie man's macht: einen Krimi schreiben. Die taz sprach mit Jerry Cotton.

taz: Sie hatten schon 20 Jahre und 200 Cottons lang über New York geschrieben, als Sie zum ersten Mal hinkamen. Wie war das?

Heinz Werner Höber: Es war alles so, wie ich es mir mit Stadtplänen und anderem Informationsmaterial erarbeitet hatte. Bis auf die Lexington Avenue: sie geht von der 42sten bis zur 52sten leicht bergan. Das war auf den Stadtplänen nicht zu erkennen.

Die Regenschnüre gleißten im Licht wie flüssiges Silber. Sie war nackt. Ihre Haltung verriet, daß sie vergewaltigt worden war. Und in ihrem Gesicht standen die Qualen der letzten Minuten. „Miß Bejout,“ sagte ich und stützte sie am Arm, „konzentrieren Sie sich auf das Gesicht.“

Hat sich Jerry Cotton in 40 Jahren verändert?

Das ist doch ganz normal. Wir wissen heute, daß das FBI nicht so ein fleckenlos sauberes Instrument ist, wie wir das in den 50er Jahren dargestellt haben. Und: Heute hat der FBI seine Feindbilder verloren, die Spione des KGB. Das schlägt sich bei Jerry Cotton nieder.

Die ersten Cottons waren voller Bewunderung für Amerika.

Kurz nach Kriegsende war das; ich hatte die Nazi-Dikatatur erlebt und geriet in eine Welt, die von Stalin bedroht wurde. Amerika war das Land der Freiheit.

700.000.000 Auflage, aber kaum Geld für die Miete: Heinz Werner Höber, hier umringt von Ehrfurcht in der Gesamtschule Mitte.Foto: Jörg Oberheide

Man schrieb aus einer euphorischen Liebe für Amerika heraus.

Hat sich Cotton durch Vietnem verändert?

Ich kann nur für meine Cotton sprechen. Heute schreiben über 40 Mann an der Serie, damals waren auch schon zehne mit drin. In meinen Cotton hat sich der Wandel der Zeit immer niedergeschlagen. Das Schlimme an der Serie ist, daß man nie erkennen kann, wer der Autor war. Da legt der Verlag Wert drauf.

Haben Sie unter der Anonymität gelitten?

hierhin bitte das

Foto von dem alten

Herrn, der von jungen

Leuten umringt ist

Immer! Aus zwei Gründen: Anfangs durfte man niemandem sagen, daß man Cotton schreibt. Nur das Finanzamt wußte es. Das ist für einen Autor frustrierend bis zum Gehtnichtmehr. Man schreibt die erfolgreichste Kriminalroman-Serie Europas, aber man soll es nicht sagen. Ich habe das viele Jahre durchgehalten. Das zweite Frustrierende: Wenn die zehn bis vierzig Mitautoren nur was hinrotzen. Dann sollen Sie vor Germanistik-Seminaren über Trivialliteratur eine Serie verteidigen, ohne beweisen zu

können, dieses Hingerotzte ist nicht von mir. Die schlimmsten Jerry Cotton wurden mir da um die Ohren gehauen.

Daher rührt Ihre Liebe zu den Germanisten ...

Ja! (lacht grimmig)

Sie sind weltweit über Hunderte von Millionen mal gedruckt worden. Ist der Höber reich?

An einem Cotton-Heft arbeite ich einen Monat. Netto bekomme ich dafür 1.000 Mark. Dafür würde keine Putzfrau arbeiten.

Kennen sich die Cotton-Autoren?

Dem Verlag ist es bis heute gelun

gen, daß sich die vier wichtigsten Cotton-Autoren nicht kennen. Sie könnten ja mal beim Verlag sagen, wir wollen jetzt Beteiligung, wie sich das im Buchgeschäft gehört, 5 Prozent von jedem verkauften Exemplar. Jerry Cotton war für den Bastei-Verlag, wie Gustav Lübbe selbst sagte, „eine Sternstunde“. Cotton hat Bastei groß gemacht.

1989 haben Sie erstmals ein Buch unter eigenem Namen vorgelegt, „Nun komm ich als Richter“, einen „Judenroman“. Hat Cotton immer parallel Schubladentexte geschreiben?

Geschrieben hab ich schon mit zwölf Jahren, einen Indianerroman, total bei Karl May geklaut. Mit 18 hatte ich sieben Theaterstücke geschrieben, die von einem Gründgens-Assistenten als „szenische Reportagen“ zurückgewiesen wurden. Zwanzig Jahre später machte Peter Weiss am deutschen Theater Furore mit „szenischen Reportagen“! Nach dieser Abfuhr habe ich gesagt, wenn die Deutschen nicht lesen wollen, was du schreibst, schreibst du, was sie lesen wollen. An einem Kiosk habe ich mir alle Heftchen gekauft und entdeckte den Krimi: Das ist ja eine Weide! Solange es Menschen gibt, wird es Krimis geben. Eigentlich wollte ich schon vor 40 Jahren Literatur machen. Ich fang jetzt wieder ganz schüchtern an und hoffe, daß es in ein paar Jahren etwas auf der Bühne geben wird, wo mein Name druntersteht.

Nützt Jerry Cotton dem neuen Heinz Werner Höber?

Er schadet mit nur!! Egal wohin ich komme, Höber ist Cotton. Die meisten Menschen, die mich beruflich interessieren, lehnen mich deshalb ab. Es war furchtbar schwierig, meinen ersten, preisgekrönten! Roman bei Rowohlt unterzubringen. Die hatten Angst, daß es heißt, jetzt nimmt Rowohlt schon die Heftchenschreiber vom Bastei-Verlag!

Sind Sie Cotton?

Aber natürlich! Er kommt wie ich aus einfachen Verhältnissen; seine Entscheidungen kommen aus dem Herzen. Einen Jungen, der Orangen von einem Lastwagen klaut, wird er nicht verhaften. Wenn aber ein 25jähriger in einem Altersheim Wehrlose zusammendrischt, weil die sich weigern, Schutzgelder an die Mafia zu bezahlen, dann wird der Cotton durchdrehen. Da wird ihm schon mal die Faust ausrutschen. Eine Moral, die für die Durchschnittsmenschen leicht begreifbar ist.

Bekommen Sie Leser-Reaktionen über den Verlag?

Von Verlag kommt nichts. Es stand mal eine in der „Bild“. Im Ruhrgebiet standen drei junge Maurer vor Gericht wegen Körperverletzung. Sie hatten ihre Poliere, die einen Türken angegriffen hatten, zur Brust genommen und eine Tracht verpaßt. In der Verhandlung haben sie gesagt: „Wir konnten da nicht zugucken; das hätte Jerry Cotton auch nicht gemacht“. Da war ich stolz: die haben mich begriffen. Fragen: Burkhard Straßmann

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