: Von Stilen und Stilblüten
■ Der Kritiker als verhinderter Architekt — Kritik einer Architekturkritik
Diejenigen Länder können sich glücklich schätzen, in denen selbstverständlich und populär, als Teil des täglichen Feuilletons, neben Musik, Theater und Literatur auch über Architektur debattiert wird. So gehört in den Niederlanden die Baukunst und ihre Rezeption zum nationalen Kulturgut, wie Erasmus oder Mondrian. Und mag der britische Prinz sich noch so populistisch zur zeitgenössischen Architektur äußern, er hat eine Diskussion ausgelöst, die — ähnlich den Prestigeprojekten der französischen Sozialisten — die letzten Winkel der Nation erreicht hat. In Italien oder Griechenland, Geburtsstätten der abendländischen Architektur und ihrer Theoriebildung, weiß jedes Kind um den Anteil der Baukunst an der Identität und Schönheit der Städte. Und zur populären Bewegung wurde modernes Design und Architektur in Skandinavien, sie spielen dort selbstverständlich und ohne Geziertheit ihre Rollen im täglichen Bemühen um kulturelle Standpunkte.
Von der Armut deutscher Architekturkritik
Wie bedauernswert dagegen sind deutsche Zeitungsleser, die neben flächendeckenden Rezensionen über Konzerte eher zufällig eine Mitteilung über Gebautes finden. Die steinerne Stadt gibt in unserem Kulturkreis wenig Anlaß zur Betrachtung, sie ist kein Objekt der Ausdeutung, des kritischen Nachdenkens, des Suchens nach Maßstäben für eine Bewertung. Es gibt kaum ein künstlerisches Medium, das so hintergründig beherrschend ist wie Raum und Rhythmus der städtischen Bauten, doch seine Einführung als ein Thema der kulturellen Debatte bleibt ihm versagt.
Um so erfreulicher war vor drei Jahren die Ankündigung des 'Tagesspiegels‘, eine Feuilletonserie zu starten, in welcher der Architekturkritiker Falk Jaeger die Baukunst der achtziger Jahre in Berlin dem Wochenendzeitungsleser in einer fortgesetzten Kritik interessant machen sollte. Das Buch Zurück zu den Stilen, bei Ernst & Sohn erschienen, faßt diese Artikelserie, ergänzt mit Grundrissen und Fotos von Christina Bolduan, noch einmal zusammen.
Heute, da Berlin verhökert wird an die Meistbietenden [noch nicht mal, das ist es ja gerade! d.K.], wäre eine kritische Bewertung architektonischer Qualitätsmerkmale, eine Diskussion, die ein breites Publikum bekümmert, notwendiger denn je. Welch eine Notwendigkeit, die Auseinandersetzung um qualitätvolle Architektur populär zu machen! Und welch eine Chance, die im 'Tagesspiegel‘ und der Neuauflage in Buchform vergeben wurde.
Es lohnte eigentlich nicht, dieses Buch zu besprechen, wäre da nicht diese vergeudete Gelegenheit zu einer echten Kritik gewesen, zu einer inspirierten Kritik oder zu gesprächen über Gebautes, die sensibilisieren, stimulieren, bekümmern, wie die zahlreichen Expertengeplauder über Musik oder bildende Kunst. Statt dessen müht sich der Leser durch unbeholfene Architekturerklärungen in Gutachterdeutsch, die gespickt sind mit schrillen Stilblüten. Etwa so »... die Transformation des historischen Elements in unsere Sprache, beim Giebel noch etwas ins Historisieren abgeglitten, ist bei den Erkern also gelungen«, oder»... die Architektursprache der Architekten, am Klassizismus orientiert, manchmal haarscharf am süßlichen Historismus vorbei, ist ein möglicher dritter Weg«, oder »... so recht er hat, mir ist es von außen gesehen etwas zu wahr und ehrlich, zu unnahbar, zu konsequent. Im Inneren stimmt die Richtung — nach meinem Geschmack«, oder »... die Architekten schlugen eine andere Lösung vor, wie sie die Schwestern kaum zu äußern gewagt hatten und um so freudiger begrüßten.«
Fehlende Inspiration als Quelle der Kritik?
Das unfreiwillige Schmunzeln, das den Leser bei derart Unbeholfenem befällt, versteinert zur ärgerlichen Grimasse, wenn der anfängliche Verdacht zu Gewißheit wird, daß all diese Architekturkritik nur Krittelei ist: nichts mehr als persönliches Unbehagen, geschmäcklerische Meinung, verbunden mit viel Gefasel über »Details«. das meint in der Sprache von Architektenwettbewerbserläuterungen die Art, wie der Architekt zwei Materialien zusammenführt oder eine Ecke baut.
Die Inspiration zu einer Kritik wird aus Unsicherheit, Opportunismus oder Angst — wer weiß — gleich wieder zurückgenommen und eingeschränkt: »modisch zwar, aber doch... vielleicht etwas zu... es mag stören, daß... nur leicht ins Postmoderne spielend... nach meinem Geschmack« und so weiter.
Was hat die interessierte LeserIn an solchen Urteilen? Auch nehmen ihm die kritischen Überschriften plötzlich allen Mut zum Weiterlesen, da steht doch allen Ernstes als Kapitelüberschrift: »Die hohe Baukunst ist es nicht geworden« oder »Nur für den guten Magen«. Wer mag sich da inspiriert fühlen, tiefer einzusteigen?
Doch halt! Kann der Mensch auch Unrecht erleiden, Unordnung erträgt er bekanntlich nicht — und also erfahren wir eine penible Einordnung eines jeden Gebäudes in eine Architekturstilkunde, die uns endlich Sicherheit an die Hand gibt. Der Leser lernt zu unterscheiden zwischen »Postmodernem Klassizismus«, »Poetischem Rationalismus«, »Dekorativer Moderne«, »neuem Expressionismus« und was es weiter an adjektivistischer Präzisierung gibt.
Gespickt mit Zutaten wie »attraktiv«, »neckisch«, »recht passabel gestaltet«, »interessant« oder gar »schön« ist diese Architekturkritik ärgerlich machendes Wortgeklingel mit dem Tiefgang eines Polyglott- Reiseführers, angepaßt und unispiriert wie die Auswahl der Gebäude. Das Konzept einer Feuilletonserie Architekturkritik ist löblich, ihr Inhalt war langweilig, ein Buch daraus zu pressen — noch schnell ergänzt mit Ostprojekten — bleibt Quälerei. Man möchte dem Kritiker raten, besser Architekt zu werden. Cony Radt
Falk Jaeger: Zurück zu den Stilen · Baukunst der achtziger Jahre in Berlin. Photographien von Christina Bolduan. 180 Seiten, Verlag Ernst und Sohn. 1991. DM 48
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