Freiheitsliebende Viecher

Kaufbeuren (taz) — Einst waren die Allgäuer als wildes, räuberisches Bergvolk verrufen. Heute sind es überwiegend gesittete Leute. Aber vom wilden Bergvolk dringt doch immer wieder einmal etwas durch — und wenn's beim Allgäuer Vieh ist. Jüngstes Beispiel ist die unglaubliche Jagd auf zwei entlaufene Allgäuer Schumpen, also Jungrinder, und einige Geißböcke.

„Als wir eingestallt haben, das war am 4. November, da haben zwei der Schumpen plötzlich vor der Stalltüre kehrtgemacht und sind einfach zurückgesprungen auf die Weide“, erinnert sich Bauer Xaver Lingenheil aus Märzenried bei Kaufbeuren an den Beginn einer monatelangen Jagd.

Die beiden zweijährigen Rinder entwickelten innerhalb weniger Tage einen Urinstinkt, flüchteten, wenn auch nur von weitem ein Mensch sich näherte. Binnen kürzester Zeit hatten die zwei Schumpen sich ein zottiges Winterfell zugelegt. Immer, wenn sie eingefangen werden sollten, blitzten sie ihre „Jäger“. Über Stacheldrahtzäune sind sie gesprungen wie Springböcke, erinnert sich ein erfahrener Jäger. Nächtelang lagen Bauern und Nachbarn zusammen mit dem Jäger an extra aufgestellten Futterkrippen auf der Lauer — vergeblich!

Bauer Lingenheil wurde es zu dumm. Zum Jahreswechsel, als die Schumpen noch immer in der Wildnis ihrem Freiheitsdrang nachjagten und alle, die ihnen nachstellten, eine Nacht um die andere narrten, verkaufte der Bauer „quasi freilaufend“ seine Besitzrechte an einen Kälberhändler. Der besorgte sich beim Veterinäramt einige Betäubungsgewehre und legte sich erneut auf die Lauer. An mehreren Futterstellen waren die Schumpen gesehen worden. Und endlich, im Februar, gelang es eines Nachts, eines der beiden Rindviecher zu betäuben. Pech allerdings, daß beim zweiten das Gewehr versagte. „Da ist der Schuß nicht weit genug gegangen, es war Druckluft entwichen, und die Patrone ist vorher 'runtergefallen“, erinnert sich Bauer Lingenheil.

Erst vergangenen Woche gelang es dann, auch das zweite Jungrind einzufangen. „Es ist abends immer wieder an die Stalltüre eines Bauern in Apfeltrach gekommen und hat hineingeschaut. Da konnte es dann betäubt und eingefangen werden.“

Doch die beiden Schumpen aus dem Ostallgäu waren nicht die einzigen Tiere, die Allgäuer Bauern auf Trab hielten. Ein Geißbock, der mit zwei Geißen stiften gegangen war, trieb sich gleich fünf Monate lang mit einigen Hirschen in den Bergwäldern am Grünten (1.738 m) herum. „Bene“, so der Name des sträunenden Geißbockes, konnte erst gefangen werden, als er dieser Tage im Tiefschnee steckenblieb. Sein Besitzer war überrascht, welch zotteliges Fell sich der Ausreißer inzwischen zugelegt hat.

Während die Ausreißerserie inzwischen zu Ende ist, sorgen im Allgäu ein Schwan und eine Gans für Gesprächsstoff an den Stammtischen. In einem Park in Kaufbeuren haben sich nämlich ein Höckerschwan und eine entlaufene, gut gemästete Hausgans zu einer wilden Ehe zusammengeschlossen. Klaus Wittmann