: „Counter-Guerilla“ in Aufwiegel-Aktion
Werden die Morde an zwei türkischen Journalisten vom Staatsapparat gedeckt? ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Am 24. Februar starb der 25jährige Journalist Cengiz Altun in der kurdischen Stadt Batman im Kugelhagel. Altun arbeitete für die prokurdische, Istanbuler Wochenzeitschrift 'Yeni Ülke‘, die politisch der Guerillaorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) nahesteht. Nur eine Woche zuvor war der 26jährige Journalist Halit Güngen, Korrespondent des kritischen Wochenmagazins '2000e Dogru‘ (Richtung 2000) in seinem Büro ermordet worden. Beide Journalisten recherchierten über die Hisbollah, die seit Monaten Terroranschläge in Türkisch-Kurdistan verübt. Beide Journalisten kamen zu dem Ergebnis, daß Hisbollah nur ein Tarnname für die „Counter- Guerilla“ ist. Die „Counter-Guerilla“ ein Ableger des Nato- Geheimgeheimdienstes „Gladio“, gilt als Organisation, die im Auftrag des „Amtes für besondere Kriegsführung“ der türkischen Armee arbeitet. Kritiker in der Türkei mutmaßen, daß die „Counter-Guerilla“ Morde verübt, die vom Staat gedeckt werden. Im folgenden dokumentieren wir einen der letzten Artikel von Cengiz Altun, der am 5. Januar in 'Yeni Ülke‘ erschien. Teils wirkt die Terminologie für den deutschen Leser befremdlich. „Patriot“ ist in der Regel ein Synonym für PKK-Sympathisant:
Seit dem letzten Juli erfolgten in Batman eine Reihe von Anschlägen, die den Anschein erwecken sollen, daß zwei gegnerische Kräfte miteinander kämpfen. Die Vorfälle, die damit begannen, daß die islamischen Geistlichen, die Imame sowie patriotische Demokraten verprügelt wurden, nahmen im Dezember ernstere Züge an. Mit der gleichen Art Sprengstoff wurden Läden von Patrioten sowie von religiösen Personen bombardiert, bzw. durch Molotowcocktails in Brand gesetzt. Die demokratischen Verbände, die angegriffenen Einzelhändler, der Stadtvorsitzende der religiösen „Wohlstandspartei“ sowie die Verantwortlichen der „Arbeitspartei des Volkes“ waren einer Ansicht: Diese Vorfälle sind das Werk der Counter- Guerilla! [...]
In einem mit „revolutionäre Moslems von Kurdistan“ unterzeichneten Brief, der in der zweiten Dezemberwoche an die politischen Parteien verschickt wurde, stand folgendes zu lesen: „Wir müssen Augen und Ohren offenhalten, damit wir nicht auf das Spiel der Counter-Guerilla, des türkischen Geheimdienstes und der CIA hereinfallen. Sie möchten die islamische Bewegung gegen die PKK ausspielen, damit sich beide Gruppen gegenseitig zerfleischen. Wir sind keine Feinde der PKK.“
Nachdem die Läden aus Protest gegen die Übergriffe zwischen dem 12. und dem 14. Dezember geschlossen blieben, wurden erneut zwei Geschäfte, die religiösen Personen gehören, bombardiert. Auch zwei Läden von Mehmet Günes, der als Patriot bekannt ist, wurden verwüstet. Sowohl der Eigentümer des islamischen Buchladens Akin Uygur, als auch Mehmet Günes kamen zu dem gleichen Schluß. Die Counter- Guerilla war verantwortlich. Am 27. Dezember wurden Bomben in fünf Läden gelegt. Rahman Maltas und Vahit Kaya, zwei betroffene Inhaber, klagten über die Berichterstattung in der türkischen Presse: „Wir haben zu keinem Reporter gesagt, diese oder jene Personen hätten den Anschlag verübt. Aber in den Zeitungen 'Hürriyet‘ und 'Cumhuriyet‘ hat man aus unserem Munde versucht, die Vorfälle auf die religiösen Kreise abzuschieben. Dabei weiß jeder, daß die „Counter-Guerilla“ dahintersteckt. Doch die Zeitungen hatten Schlagzeilen, wie „Hisbollah- Schock in Batman“ oder „Bomben von Hisbollah“. Mit solcher Berichterstattung wollen sie [...] religiöse Kreise und Patrioten gegeneinander aufbringen.“
Mehmet Tuncer, dessen Geschäft in die Luft gejagt wurde: „Diese Vorfälle können das Werk der Counter- Guerilla sein. Wenn in Batman in der Nacht auch nur eine Kugel fällt, werden Dutzende festgenommen. Aber, welch Wunder, obwohl es in den letzten Tagen eine Reihe von Bomben und Molotowcocktails gab, ist niemand festgenommen worden. Dies läßt auf eine Verbindung der Vorfälle mit dem Staat schließen.“ Der Abgeordnete Zübeyir Aydar hat nach Untersuchungen in Batman mitgeteilt, daß die Bomben aus der staatlichen Waffenfabrik MKE stammen. Er beschuldigte die Polizei, Beweismittel zu unterschlagen.
Mehmet Pamak, Vorsitzender von MAZLUM-DER, einer islamischen Organisation, vermutet Ordnungskräfte hinter den Bomben: „Die Ereignisse der letzten Tage erinnern mich an die Worte, die der gegenwärtige Ministerpräsident vor 1980 einmal geäußert hat. Bezüglich der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten hatte er gesagt: „Niemand soll sich gestört fühlen, wir spielen die Hunde gegeneinander aus.“
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