: „Ihre Frauen sind dazu nicht imstande...“
■ Vom langen Weg zum Frauenwahlrecht / Neue Materialsammlungen
Das Frauenwahlrecht war eines der wichtigsten Ziele des Internationalen Frauentages, als der 1910 auf der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen beschlossen wurde. Wie überall war es auch in Bremen ein langer Weg, bis Frauen ab 1918 endlich mitwählen durften. Zwei Bremer Lehrerinnen, Romina Schmitter und Elisabeth Hannover-Drück, haben in über zwei Jahren Quellenstudium zusammengetragen, wie steinig der Weg an Wahlurne und Rednerpult der Bürgerschaft für die Bremerinnen war. Mit halber Stelle zum Staatsarchiv abgeordnet, haben die beiden Frauen zwei Materialienbände für Schulen, Uni und Gewerkschaften erarbeitet.
Der Sozialdemokrat Alfred Henke hatte 1908 in der Bremischen Bürgerschaft als erster das Frauenwahlrecht gefordert. Noch während er seinen Antrag vortrug, schränkte Henke ein, er wisse, daß der Antrag abgelehnt wird. Dennoch: „Wir werden ihn wieder einbringen. Wir werden ihn dann aber erweitern und die Forderung aussprechen, das Wahlrecht auch auszudehnen auf die Frauen.“
Kaum hatte der Sozialdemokrat den Antrag ausgeprochen, da brachen die Abgeordneten in Lachen aus, das im Protokoll immerhin penibel festgehalten und nun als eine von vielen Anekdoten köstlich nachzulesen ist: „Ich konstatiere, daß Sie darüber lachen, daß Ihre Frauen das Wahlrecht haben sollen!“, entgegnete Alfred Henke den Kollegen in der Bürgerschaft. „Es mag sein, daß Ihre Frauen nicht imstande sind, das politische Wahlrecht auszuüben. Ich gebe Ihnen die Versicherung, wir denken von unseren Frauen etwas höher.“
Wenig später wurde über das Frauenwahlrecht abgestimmt: der Antrag wurde abgelehnt. Von der Galerie herunter wird das Abstimmungsergebnis mit Pfui-Rufen quittiert: dort saßen Frauen. Denn schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts war es ihnen erlaubt, die politischen Debatten zu beobachten. Vom Bürgereid waren Frauen jedoch ausgeschlossen — und der war seit Jahrhunderten Bedingung für die Wahrnehmung politischer Rechte in Bremen. Lediglich die Gewissensfreiheit wurde den Frauen als Grundrecht zugestanden. Ansonsten unterstanden sie der Entscheidungsgewalt des Mannes, seinem „curatel“. Auf Grundlage der Gewissensfreiheit begannen radikale Theologen dann auch, über den Frauen als erstes politisches Recht das Kirchenwahlrecht zu erkämpfen.
Ausführlich sind in dem Band „Der lange Weg zur politischen Gleichberechtigung der Frauen in Bremen“ (R. Schmitter) die Geschichte der Bremer Frauenvereine und der Stimmrechtsbewegung der Kaiserzeit nachzulesen. In „Die Ausübung des Frauenwahlrechts in Bremen 1918 — 1933“ (E. Hannover-Drück) wird analysiert, wie die Frauen dann tatsächlich wählten. Die Männer sprachen ihnen die Kompetenz dazu aber weiter ab. Die Wahlen 1924 und ab 1928 wurden nach Frauen-und Männerstimmen getrennt ausgezählt. Eines der Ergebnisse: Das Vorurteil, Frauen hätten 1933 die Nazis gewählt, ist nicht haltbar.
Übrigens: Auch wer nachlesen will, mit welchen Themen sich Frauen im Parlament wie oft zu Wort gemeldet haben, sollte sich im Staatsarchiv die Materialien besorgen (Kosten: DM 18, ermäßigt DM 15). ra
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen