: Wedeln beim Russen
■ Auf der Suche nach dem Besonderen zum Heli-Skiing im ewigen Eis Sibiriens
Auf der Suche nach dem Besonderen zum Heli-Skiing im ewigen Eis Sibiriens
VON RÜDIGER KIND
W
enn man in den Münchner Bräunungsstudios, Hamburger Kaviar-Bistros und in den Weißweinfraktionssitzungen sonstiger deutscher Metropolen die Erörterung der Wintersportfrage verfolgt, wird zuallererst eines klar: Gstaad ist fad, St. Moritz ein Witz, und Kitzbühel ist zumindest unkühl. Einzig angesagt ist: Wedeln beim Russen.
Also ist die Touristikbranche momentan fieberhaft dabei, die boomende Nachfrage nach der „größten zusammenhängenden Schneefläche der Welt“, wie Wolf Lüdrich, Chef des Rußland-Spezialisten Wintertour die ehemalige Sowjetunion nennt, zu befriedigen. Erste Pilotprojekte wie der Balalaika-Club in Kalinkagrad, dem früheren Kalaschnisibirsk, sollen die Erschließung dieser touristischen Terra incognita vorantreiben und Aufschlüsse über bestehende Probleme und Engpässe vermitteln. Auf einer Pressefahrt hatte unser Mitarbeiter Gelegenheit, sich ein Bild vom Nostalgie- Package „Winterzauber wie zur Zarenzeit“ zu machen.
Schon die Anreise war vom Feinsten. Der Baikanur-Expreß, ein im Stil vergangener Epochen luxuriös ausgestatteter Zug mit Pullman-Wagen, ratterte nun schon drei Tage lang auf maroden Schienensträngen durch die unendlichen, verschneiten Weiten des russischen Raums. Marija, unsere Zugbegleiterin, kam ins Abteil, füllte den Samowar nach und reichte köstliche Kaviar-Plinsen. Kaum hatten wir die Wodkaflaschen geöffnet, wurde seitens unseres russischen Reisepersonals auch schon die obligatorische Abteils-Balalaika von der Halterung genommen und herzerwärmende russische Weisen angestimmt: „Am Brunnen vor der Kolchose“, „Hattest du Schluckauf, Natascha?“ und was der Russe sonst so singt, wenn der Tag lang ist. Vom Auseinanderbrechen des Riesenreichs war in unserem Abteil jedenfalls nichts zu spüren: Einträchtig summten unsere inguschischen Lastenträger mit den gagausischen Schuhputzern die melancholischen Melodien, die für eine russische Fahrt ins Blaue wohl unerläßlich sind.
Von Minussinks, dem, wie wir aus den detaillierten Unterlagen unseres Reiseveranstalters erfuhren, Bebra Mittelsibiriens, ging es mit schweren SIL-Limousinen nach Kalinkagrad, der Skistation an den Ufern des Jenissei, wo uns schon Igor, der örtliche Repräsentant von Wintertour, erwartete. Er brachte uns zum Club- Hotel Balalaika, einem ehemaligen Na-was-wohl?, dessen Suiten gehobenen Funktionärsstandard aufwiesen. Der Zimmerservice übertraf alle Erwartungen: ein Klingeln, und vom Wäsche- über den Bügelservice bis zum Champagner-Frühstück wurde von einer vielköpfigen Mannschaft alles schnell und diskret erledigt — einfach perfekt. Der Russe versteht noch zu dienen, oder, wie Igor es in tadellosem Deutsch formulierte, vom Slawen zum Sklaven ist es nur ein kleiner Schritt...
Am ersten Tag erkundeten wir die Gegend mit der Troika, dem dreispännigen Pferdeschlitten. Eingehüllt in dicke Zobelpelze, glitten wir durch ein tiefverschneites Winterparadies. Abends dann altrussischer Datschazauber im Iwan-Stüberl mit Sergej Moikow und seinen Original Kaffee-Kosaken. Die Stimmung war einfach pfundig!
Am zweiten Tag ging's dann endlich auf die Piste. Da in diesem gottverlassenen Landstrich Liftanlagen ein Fremdwort sind, finden sich hier wohl die einzigen Stellen im russischen Riesenreich, wo man sich nicht anstellen muß. Nordossetische Lasstenträger bringen den ambitionierten Wintersportler samt Ausrüstung mit der Sänfte auf jeden Berg, auf jede gewünschte Höhe. Der diskrete Charme des Frühkapitalismus läßt es nicht zu, daß das Preis-Leistungs-Verhältnis bei dieser doch etwa 4.000 Mark teuren Packagetour aus den Fugen gerät. Aber, darüber waren sich die Teilnehmer dieser Fahrt alle klar, Skifahren kann man natürlich überall. Erst beim Après-Ski zeigt sich dann die wahre Klasse eines Wintersportortes. Die ewiggleichen Gesichter in Zürs, Laax und Lech sind für den, der den Luxus des Besonderen sucht, wahrhaftig nicht aufbauend. Ganz im Gegensatz zu den unverbrauchten Sibiriakinnen in den Kalinkagrader In- Diskotheken, die für ein paar Rubel zu allem entschlossen sind, Ural-Sex inklusive...
Zum Candlelight-Dinner in der „Raskolnikow-Lounge“ bewies der russische Küchenmeister, daß die Prospekt-Versprechungen des Clubs, seine Gäste so gut es geht auch kulinarisch zu verwöhnen, nicht zu hoch gegriffen waren: Terrine vom Kamtschatka-Krebs auf Kaviar- Schaum, Stör-Piroggi unter Elchleber-Mousse, Krimskoje und grusinischer Fünf-Sterne-Konjak flossen in Strömen...
A
m nächsten Tag dann endlich der heißersehnte Höhepunkt: Heli-Skiing im ewigen Eis Sibiriens. Vor dem Abflug mußten wir zuerst eine Haftungsausschlußerklärung unterzeichnen, da die Flüge mit den MI-17-Helikoptern aus Beständen der ehemaligen Roten Armee auf eigene Gefahr erfolgten. Nach der Einweisung in die Handhabung der obligatorischen Lawinenverschüttetensuchgeräte und die Lawinenrettungsballons ging es los. Verwunderlich war nur, daß auch sechs Schnellfeuergewehre, eine Maschinenpistole und zwei Kisten Handgranaten zu unserer Ausrüstung gehörten. Bei strahlendem Wetter flogen wir über endlose Firngletscher und unberührte Hänge. Die Tiefschnee- Abfahrten durch trockenen Pulverschnee ließen uns jedoch rasch die Vorboten kommenden Ungemachs vergessen. Bei unserer Rückkehr in den Club erwartete uns dann aber eine faustdicke Überraschung: Rebellen der südbanausischen Befreiungsfront hatten die Hotelanlage während unserer Abwesenheit überfallen, alle Suiten geplündert und sämtliche Lebensmittel- und Getränkevorräte abtransportiert. Und das Schlimmste: Der Zimmerservice war vollständig zusammengebrochen, hatte sich doch ein Großteil unseres Bedienungspersonals dem marodierenden Haufen angeschlossen. Entsetzlich!
Nachschub war bei der desolaten Versorgungslage nicht in Sicht, und so mußten wir die restlichen Tage bei klebrigem Brot, tranigen Fischkonserven und dünnem Bier verbringen und die Betten selber machen. Manche der Teilnehmer fanden die Begegnung mit dem real existierenden Verteilungskampf zwar „wahnsinnig spannend“, die meisten aber haben sich geschworen, den nächsten Skiurlaub dann doch lieber in den Rockies zu buchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen