■ DIE PREDIGTKRITIK — EVANGELISCH: Auf zu Gottes Ohr
Er weckt mich alle Morgen«, singen die Gemeindemitglieder der Passionskirche am Marheinekeplatz. Es ist wieder einmal Sonntag, und wir Ausgeschlafenen feiern mit Pfarrer Christian Haebringer die Taufe der Gabriele Neumann. Und wie es der Zufall des Predigtkalenderjahres will, ist für diesen Passionssonntag auch noch eine passende Bibelstelle vorgesehen — oder hat der Pfarrer die taufwillige Gabi eigens bis zu diesem Invocavit vertröstet, um die Sache so richtig rund zu machen? Lange genug gewartet hat die junge Christin allemal — es ist eine Erwachsenentaufe, und verheiratet ist die junge Dame auch schon. Wer sich so spät noch zur Mitgliedschaft in einer an sich aussterbenden Gemeinschaft entschließt, muß schon triftige Gründe haben — die der Gemeinde leider nicht vermittelt werden — und hat sich zudem, ganz anders als die unschuldigen Kinderlein, fit gemacht in Bibel- und Heilslehre. Da fühlt sich der Pfarrer zu Recht in die Pflicht genommen und läßt sich nicht lumpen, ausgerechnet zum schwierigen Hebräerbrief zu predigen.
Daß wir uns einhören wollen, kündigt er an, in den seinerzeit unter den Hebräern als Predigttext herumgereichten Brief, dieser Allzweckwaffe gegen frühchristlichen Zweifel. Da steht in Kapitel 4 die Frohe Botschaft noch einmal in Kurzform: »Dieweil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesum, den Sohn Gottes, der gen Himmel gefahren ist, so lasset uns halten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleiden haben mit unsern Schwachheiten, sondern der versucht ist allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde.« Schwer verständlich für unsere Ohren — sicher —, aber für solche Probleme ist letztlich ja der Pfarrer da, der uns nun Stück für Stück erläutert, was wir von der Sache zu halten haben. Es ist nämlich so: In Zeiten der Umwälzungen, der ständigen Veränderung, »wenn Ideologien zerplatzen wie Seifenblasen«, begibt sich der Mensch auf die Spur nach Verläßlichkeit. Das ging den verfolgten Hebräern im frühchristlichen ersten Jahrhundert so, und das ist dieser Tage nicht anders. Und auf der Suche nach Halt und Geborgenheit erinnert sich der Christ dann gern an sein Bekenntnis, an seine Taufe. Denn die ist eine Zusage besonderer Art: eine Zusage Gottes, der uns seine Solidarität in schweren Zeiten verspricht und seinen eigenen Sohn dafür hergegeben hat, diese Versicherung zu bekräftigen. Denn seit Jesus als Mensch auf die Erde kam, um für uns alle zu leiden, wurde aus der strafenden und lehrhaften endlich eine Frohe Botschaft. »Gute Nachricht« nennen die Protestanten das gerne. Es ist die gute Nachricht, daß wir jetzt Fehler machen können — natürlich alles mit Maßen — und daß der oberste Priester nun keiner mehr ist, der fortwährend martialische Opfer schlachtet. Nein, der neue ist einer wie du und ich, einer mit Zweifeln und Schwächen — nur eben ohne Sünde. Und einer, der am Ende sich selbst statt des Lamms opfert.
Mit so einem im Bunde glaubt sich's gleich viel einfacher, und eben das ist die Ermutigung aus dem Hebräerbrief. Denn mit so einem wie dem menschelnden Jesus haben wir jetzt, da er zur Rechten seines Vaters und unseres Herrn sitzt, einen »verständigen Mittler, einen Fürsprecher beim lieben Gott«. Können durch ihn direkt an Gottes Ohr herantreten, ohne Etikette und Protokoll — das ist »ein ganz neuer Stil in der Gottesbeziehung«. Jesus Christus, er ist der Pontifex, der Brückenbauer zu Gott und seinem Ohr. Nun, da es die neue Verbindung gibt, bleibt nur die Frage, wer sie benutzen darf. Und so kommen wir jetzt zu Frau Gabriele Neumann, geb. Günther, die soeben Taufe, Taufkerze und Taufspruch erhalten hat. Mit diesem Tag ist nämlich auch für sie die Brücke zu Gottes Ohr eröffnet, die Schnellstraße zu Gottes Güte und Freundlichkeit. Spät, aber dennoch, hat sie die Kurve gekriegt, kann sich nun mit all ihren Nöten, Sorgen und Zweifeln direkt an ihren Herrn wenden. »Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten?« heißt ihr Taufspruch, es ist der Psalm 27. Schön, daß mit diesem Sonntag, es ist übrigens der internationale Frauentag, aber das tut hier wohl nichts zur Sache, ein Mensch mehr furchtlos und gestärkt in die Woche gehen kann. »Drum lasset uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird«, heißt es am Ende bei den Hebräern. Und so treten wir frohgemut hinzu, auf die Brücke und dann vor die Tür. Bei der nächsten Not wird sich zeigen, wie weit dieses Bauwerk Frau Neumann geb. Günther tragen wird. Klaudia Brunst
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